Pierre Boulez war nicht nur als Komponist eine zentrale Figur im Musikleben der letzten 65 Jahre, er war zugleich auch ein namhafter Dirigent, Lehrer, Gründer und Leiter verschiedener Institutionen wie des Ensemble InterContemporain und zuletzt der Lucerne Festival Academy (gegründet 2003, unter seiner Leitung bis 2015). So war es nur selbstverständlich, dass das Lucerne Festival zu Ehren des Verstorbenen ein Gedenkkonzert veranstaltete, unter Mitwirkung eines Orchesters aus Alumni der Lucerne Festival Academy, die zu diesem Anlass aus aller Welt angereist waren.
Bei der Gestaltung eines Gedenkkonzerts gibt es die Option, den Komponisten (möglichst in der Breite seines Schaffens) zu präsentieren, oder aber, das Werk des Geehrten in den Kontext der Musik zu stellen, die dessen Schaffen mitgeprägt hat. Die Organisatoren haben sich für letzteres entschieden – mit zwiespältigem Ergebnis.
Am Beginn des Konzerts stand der Eingangssatz Don aus Pli selon pli, Boulez' umfangreichster Komposition und einem seiner Hauptwerke. Die Wahl war sicher eine ausgezeichnete, doch das Werk verlor sich in einem derart großen Auditorium wie dem weißen Saal und wäre wohl für kleinere Räume besser geeignet. Der eröffnende Fortissimo-Schlag (und nachfolgende Instanzen im Verlauf des Satzes) verloren in dem großen Saal einen Teil ihrer Wirkung; noch mehr jedoch litten die Pianissimo-Stellen, die man in den hinteren Rängen wohl hören mochte, welche aber aus der Ferne nicht nur an emotionaler Wärme und Intimität verlieren, sondern auch gefühlsmäßig Nähe vermissen lassen.
Ein weiterer Punkt, der für den kleineren Raum spricht, ist, dass von der Sopranistin im Zentrum des Satzes geflüsterte Passagen verlangt werden. Selbst wenn diese, wie hier, teils als leiser Sprechgesang ausgeführt wurden, könnten sie ihre Wirkung im entfernteren Teil des Saals verfehlt haben. Solistin Yeree Suh, deren Eingangszeile bald nach dem Eröffnungsschlag wohl vor allem mental sehr anspruchsvoll zu singen ist, gewann im Solo im Mittelteil sichtlich an Volumen und Überzeugungskraft. Die circa 50 zumeist sehr jungen Orchestermusiker spielten unter der klaren, präzisen Zeichensprache von Dirigent Matthias Pintscher konzentriert und kompetent.
Im ersten Teil des Satzes ging mir Strawinskys Frage durch den Kopf, ob er der einzige sei, der das Werk "ganz schön monoton und zugleich monoton schön" finde ("both pretty monotonous and monotonously pretty"). Ich schreibe meine Assoziation der Distanz und der Größe des Saals zu, kann aber auch nachvollziehen, wie der Russe auf diese Idee gekommen ist. Man könnte anderseits postulieren, dass dieser gefühlte Abstand insofern angebracht und vielleicht sogar beabsichtigt war, als er das Fehlen des Verstorbenen deutlich machte.