Erste Zusammenarbeiten zwischen Orchester, Dirigent und gegebenenfalls Solist lassen für alle Beteiligten spannendes Interesse aufkommen. Ein großes Mehr daran wird erst recht entfacht, wenn mit dem gewitzten Sir Roger Norrington ein echtes Original am Pult des Gürzenich-Orchesters sitzt, verficht er doch konsequent seine pure-tone-These des (fast) komplett vibratolosen Klangs.
Dass gerade diese alleinstellende Strenge zwar in der immerwährenden Diskussion um Aufführungspraktiken weniger mit „historischer“ Originalität zu tun haben dürfte, schmälert jedoch beileibe nicht den interpretatorischen Erfolg. Meint Norrington, die rigorose Spieltechnik ebenfalls im 20. Jahrhundert mit seinen bekannten britischen Komponistengrößen feststellen zu können, ist sie in eher ausgewählten senza-vibrato-Notierungen der (Spät-)Romantik immerhin belegbar; so bei Brahms, dessen erstes und einziges Violinkonzert mit Francesca Dego den Debütreigen eröffnete.
In der Einleitung des Konzerts wurde die ausgearbeitete und charakteristische Handschrift Norringtons sofort deutlich, indem das disziplinierte Orchester mit der peniblen Stufung von Dynamik, speziell den abgegrenzten Akzenten und lebendigen Schwellern, die stringenten, vibratofreien Linien verzierte. Es ist diese effektvolle Grundlage und Interpretationsidee, die das Gehörte so direkter und eindrücklicher vermittelt. Zudem zeigte sich eine sich in jedem und für jeden Satz entwickelnde Intensivierung der musikalischen Auseinandersetzung, die das ständige Auf und Ab besonders kontrastreich hervorzuheben vermochte. Darauf hatte sich auch Dego eingelassen, die - wirklich bemerkenswert - einen Großteil, vor allem in den virtuosen Figuren in höchster E-Saitenlage, in ungewohnter non-vibrato-Puristik bewältigte und zusammen mit dem expressiven wie dynamischen Pingpong so klar und abwechslungsreich in den fließenden Dialog mit dem Orchester treten konnte.
Machte sie schon in den harmonisch schwierigen, romantisch-kantablen Einfahrungen im ersten Satz von mehr Vibrato Gebrauch, hatte Dego natürlich mehr Freiheiten in der Kadenz, in der sie das Hin und Her im Kleinen mal fein, spitz und sanft, mal wild und kraftvoll, ja energisch groß verarbeitete. Und mit dem Flitzen im mitunter doppelgriffigen Technik-Wahnsinn dürfte (Mit-)Kompositeur Joseph Joachim seine Freude gehabt haben, bevorzugte er doch ein schnelles Tempo, selbst wenn er im Bewusstsein um den herausragenden Anspruch kleinere Sicherungen einfügte. Auch dadurch verging der gut zwanzigminütige Satz wie im Flug, in welchem die Solistin außerdem in den Oktavwechseln mit einigen feinen Glissandi überzeugen und sowohl in den rhythmischen als auch den spielerischen Herausforderungen ihr schnelles Reaktionsvermögen unter Beweis stellen konnte. Von Norrington eingeforderter Zwischenapplaus, der fortan die kurzen Pausen füllte, ließ nicht lange auf sich warten. Mit dieser Reaktions-(Re-)Aktivierung befand sich der Dirigent – wie auch mit angesprochenem Tempo – und der antiphonen, klassischen Streicheraufstellung auf zweifellos festem, historisch informiertem Grund.