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Drängender Ruf nach Frieden: Symphonie der Klagelieder bei den Münchner Philharmonikern

Von , 01 Mai 2025

Es ist geradezu faszinierend, wie Krzysztof Urbański unermüdlich Musik seiner polnischen Heimat in Symphoniekonzerte einbaut. Im Konzert mit den Münchner Philharmonikern ist die klug zusammengestellte Programmfolge sogar ausschließlich polnischen Komponisten gewidmet, dem allgemein vertrauten Chopin ebenso wie aufregenden Gegenwartsautoren, Kilar und Górecki. Zum gegenwärtigen Themenschwerpunkt „80 Jahre Befreiung und der Traum vom Frieden“ passte die Werkwahl vollendet.

Krzysztof Urbański
© Tobias Hase

Wojciech Kilar fand, nach von Strawinsky und Bartók geprägten Phasen des Komponierens und neben Filmmusiken zu Filmen von Roman Polanski etwa, zu einer Art Minimal Music, die sich aus der Phasenverschiebung musikalischer Zellen und harmonisch motivischen Repetitionen entwickelt und typisch in der Volksmusik der karpatischen Regionen wurzelt. Die Uraufführung von Krzesany, 1974 geschrieben, wurde auf dem Warschauer Herbstfestival zum Ereignis, weil sie an Stelle verkopfter, zeitgenössisch atonaler Klänge nun mit einfachen Strukturen und eindeutigen Motiven folkloristischen Ursprungs überraschte.

Besonders akzentuierte Urbański, in der Präzision eines Uhrwerks auswendig leitend, mit den Münchnern das Anfangsmotiv, das auf drei charakteristischen Akkorden aufbaut und im gesamten Werk in verschiedenen Formen erscheint, schließlich bei Posaunenglanz und Schlagwerk gipfelt. Sanglich mischte sich ein weiteres Thema der Zweiten Violinen ein, kammermusikalische Delikatesse sprühte im Solo der Primgeigerin (Odette Couch). Ein aparter Regieeinfall von Urbański auch, den Volkstanzwirbel mit rauschendem Glockenklang einer Gruppe Münchner Schüler*innen zu krönen!

Jan Lisiecki
© Tobias Hase

Chopin-Etüden gehörten zu den ersten Werken, mit denen der junge Kanadier Jan Lisiecki auf sich aufmerksam machte. Eine weise Entscheidung, an Stelle der Klavierkonzerte die weniger populäre Grande fantaisie sur des airs polonais für Klavier und Orchester zu präsentieren, in deren Abschnitten er zwischen verhaltenem Suchen, Mozartscher Leichtigkeit und feuriger Virtuosität pendeln konnte, die sich unter seinen Händen als nicht weniger fesselnd und originell erweisen. Auch im Konzertrondo Krakowiak, beeindruckten Brillanz der Fingerwirbel und Schönheit von Chopins Jugendwerk, ohne die Werke zu intellektualisieren oder virtuos zu überformen und doch ihren verborgenen Geheimnissen nachzuspüren. Dass Lisiecki ein frühes Prelude, Op.1 Nr.4 von Górecki zugab, erwies sich nach der Pause als thematische Klammer zu dessen Dritter Symphonie (die Lisiecki auch im Parkett aufmerksam verfolgte).

Als Henryk Mikołaj Górecki 1977 seine Dritte Symphonie „Klagelieder“ beim Avantgarde-Festival von Royan veröffentlichte, war es eine mächtige Stimme polnischen Protests, Parole der Unterdrückten, die nur einen kleinen Teil informierter Musikliebhaber erreichte. Erst 1992 eroberte eine Aufnahme mit Dawn Upshaws Sopransolo unter David Zinman die Herzen der Massen, führte in England lange Zeit die Klassikcharts an. Warum sie danach so schnell in Vergessenheit geriet? Vielleicht passte sie nicht mehr in Zeit und Erwartung einer beginnenden Friedensperiode; heute erweisen sich Inhalt und Ausdruck zeitgemäßer als je zuvor.

Michał Sławecki
© Tobias Hase

Drei Lento-Sätze, Motive einfacher Tonleitern umfließen unterschiedlichste, essentielle Texte. Der erste beginnt mit einem Kanon tiefer Streicher, der wie mit schwerem Schritt durch die Orchesterregister in Tonhöhe und Intensität aufgebaut wird; Urbański wieder auswendig, nur mit Augen und Händen formend. Wohl nicht zufällig denkt man an zeitgleiche Werke von Arvo Pärt. Im Mittelpunkt steht eine mittelalterliche Mönchsklage, in der Christi Mutter ihren sterbenden Sohn bittet, zu ihr zu sprechen. An Stelle einer einzigen Solistin hat Urbański hier den Countertenor Michał Sławecki eingesetzt, der knabenhaft klare Klage und langsame Bewegung über das Podium atemberaubend verkörperte. Dazu faszinierend soghafter Klang der Philharmoniker!

Edyta Krzemień
© Tobias Hase

Im zweiten Satz sind die Worte des Liedes ebenso tragisch: ein Gebet, das ein achtzehnjähriges polnisches Mädchen, den Schutz der Himmelskönigin suchend, an die Wand einer Gestapo-Zelle gekratzt hat. Die Akkorde ihrer Begleitung aus chromatisch schwebenden, gehäuften Klangfarben sind traurig, lyrisch zugleich in sanfter Schönheit und berühren wegen ihrer textlichen und historischen Quelle, zu der die Musik noch größere Schärfe hinzufügt. Edyta Krzemieńs Sopran ließ bisweilen klaren Fokus und notwendiges Legato vermissen; die Ausstattung aller Solisten mit Headsets schuf hier eher die Atmosphäre eines Popsongs.

Anna Federowicz
© Tobias Hase

Eindringliches Ostinato des ausgezeichneten Orchesters eröffnete Phrasen größter Einfachheit im dritten Satz: ein Volkslied, in dem eine Mutter den Verlust ihres Sohnes beklagt, dessen Körper sucht. Dem Ausdruck von Hoffnung gab Anna Federowicz berührend Stimme: dass der von grausamen Feinden getötete Junge in Frieden ruhen möge, umgeben von den Singvögeln und Blumen Gottes.

Krzysztof Urbański hatte anfangs auf den bestürzenden Inhalt der Texte hingewiesen und darum gebeten, am Ende auf Applaus zu verzichten. Großes Kompliment den Münchner Konzertbesuchern, dies einmütig zu achten und – wie bei Passionen oder Requien üblich – in ruhigem Gedenken aufzubrechen.

*****
Über unsere Stern-Bewertung
Veranstaltung anzeigen
“ein faszinierend soghafter Klang der Philharmoniker [unter Krzysztof Urbański]”
Rezensierte Veranstaltung: Isarphilharmonie, München, am 30 April 2025
Kilar, Krzesany
Chopin, Fantasia in A major on Polish Airs, Op.13
Chopin, Rondo à la Krakoviak in F major for piano and orchestra, Op.14
Górecki, Symphonie Nr. 3 „Symphony of Sorrowful Songs”, Op.36
Jan Lisiecki, Klavier
Edyta Krzemień, Sopran
Anna Federowicz, Sopran
Michał Sławecki, Countertenor
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