Es ist geradezu faszinierend, wie Krzysztof Urbański unermüdlich Musik seiner polnischen Heimat in Symphoniekonzerte einbaut. Im Konzert mit den Münchner Philharmonikern ist die klug zusammengestellte Programmfolge sogar ausschließlich polnischen Komponisten gewidmet, dem allgemein vertrauten Chopin ebenso wie aufregenden Gegenwartsautoren, Kilar und Górecki. Zum gegenwärtigen Themenschwerpunkt „80 Jahre Befreiung und der Traum vom Frieden“ passte die Werkwahl vollendet.
Wojciech Kilar fand, nach von Strawinsky und Bartók geprägten Phasen des Komponierens und neben Filmmusiken zu Filmen von Roman Polanski etwa, zu einer Art Minimal Music, die sich aus der Phasenverschiebung musikalischer Zellen und harmonisch motivischen Repetitionen entwickelt und typisch in der Volksmusik der karpatischen Regionen wurzelt. Die Uraufführung von Krzesany, 1974 geschrieben, wurde auf dem Warschauer Herbstfestival zum Ereignis, weil sie an Stelle verkopfter, zeitgenössisch atonaler Klänge nun mit einfachen Strukturen und eindeutigen Motiven folkloristischen Ursprungs überraschte.
Besonders akzentuierte Urbański, in der Präzision eines Uhrwerks auswendig leitend, mit den Münchnern das Anfangsmotiv, das auf drei charakteristischen Akkorden aufbaut und im gesamten Werk in verschiedenen Formen erscheint, schließlich bei Posaunenglanz und Schlagwerk gipfelt. Sanglich mischte sich ein weiteres Thema der Zweiten Violinen ein, kammermusikalische Delikatesse sprühte im Solo der Primgeigerin (Odette Couch). Ein aparter Regieeinfall von Urbański auch, den Volkstanzwirbel mit rauschendem Glockenklang einer Gruppe Münchner Schüler*innen zu krönen!
Chopin-Etüden gehörten zu den ersten Werken, mit denen der junge Kanadier Jan Lisiecki auf sich aufmerksam machte. Eine weise Entscheidung, an Stelle der Klavierkonzerte die weniger populäre Grande fantaisie sur des airs polonais für Klavier und Orchester zu präsentieren, in deren Abschnitten er zwischen verhaltenem Suchen, Mozartscher Leichtigkeit und feuriger Virtuosität pendeln konnte, die sich unter seinen Händen als nicht weniger fesselnd und originell erweisen. Auch im Konzertrondo Krakowiak, beeindruckten Brillanz der Fingerwirbel und Schönheit von Chopins Jugendwerk, ohne die Werke zu intellektualisieren oder virtuos zu überformen und doch ihren verborgenen Geheimnissen nachzuspüren. Dass Lisiecki ein frühes Prelude, Op.1 Nr.4 von Górecki zugab, erwies sich nach der Pause als thematische Klammer zu dessen Dritter Symphonie (die Lisiecki auch im Parkett aufmerksam verfolgte).
Als Henryk Mikołaj Górecki 1977 seine Dritte Symphonie „Klagelieder“ beim Avantgarde-Festival von Royan veröffentlichte, war es eine mächtige Stimme polnischen Protests, Parole der Unterdrückten, die nur einen kleinen Teil informierter Musikliebhaber erreichte. Erst 1992 eroberte eine Aufnahme mit Dawn Upshaws Sopransolo unter David Zinman die Herzen der Massen, führte in England lange Zeit die Klassikcharts an. Warum sie danach so schnell in Vergessenheit geriet? Vielleicht passte sie nicht mehr in Zeit und Erwartung einer beginnenden Friedensperiode; heute erweisen sich Inhalt und Ausdruck zeitgemäßer als je zuvor.