Seit 2014 ist Leonardo García Alarcón mit seinen Ensembles, der Cappella Mediterranea (und dem darin mit Konzertmeisterin Stéphanie de Failly aufgehenden Ensemble Clematis) und dem Choeur de Chambre de Namur, ein gern gesehener Gast beim Dortmunder Klangvokal Festival. Mit den oratorischen Entdeckungen von Michelangelo Falvetti, seinen exotischen Einflüssen und dem interpretatorisch hörbaren individuell-heimatlichen, lateinamerikanischen Einschlag begab sich der argentinische, mit achtzehn Jahren in die Schweiz gezogene, Dirigent auf eine lebendig schillernde Schatzsuche verloren gegangener Besonderheiten. Da ist es kein Wunder, dass gerade unter dem diesjährigen Motto eben jener musikalischen „Schatzsuche“ alle mit ihrem 2012 entworfenen Programm Carmina Latina abermals für eine deutsche Erstaufführung sorgten, in der weltliche und kirchliche Musik der Kolonialisierung zwischen Spätrenaissance, Frühbarock und Barock im gegenseitigen Austausch von alter und neuer Welt zu einer rhythmischen, farbenprächtigen, historischen Weltreise verbunden wurden.
Und das im Ambiente der Maschinenhalle der Zeche Zollern, Industriegeschichte meets música indígena, antigua y barocca also. Vielleicht nicht revolutionär und leider mit dem bedeutendsten, jedoch einzigen Manko der Aufführung, dem textverständlich hinderlichen Abstrahlen zur offenen Decke, aber zweifellos interessant und stimmungsvoll, wie bereits der prozessionshafte Einzug von Chor und mitsingendem Dirigenten zum strengen Hanacpachap im Quechua-Idiom belegte. Angeführt vom rhythmischen Trommelschlag und Fußschellenstampf Quito Gatos, der stets die wechselnden Stücke des auch temperaturtechnisch iberischen Abends durch Percussion- oder Barockgitarrenintros einleitend untermalte, fanden die sechzehn Sängerinnen und Sänger ihren Platz auf der Bühne, die mit dem ersten Ruf Mariana Flores' in rotes Licht getaucht wurde. Passend dazu füllten nach und nach unter obligater Violine, Diskant-Zink und Basso Continuo (unter anderem Truhenorgel, Gambe, Dulzian und Barockharfe) die weichen, klaren und weihevollen Strahlestimmen den Raum mit Juan de Araujos Salve Regina, dessen Geschmeidigkeit (vor allem mit sich aufschwingendem Sopran und Alt) nie zu kontrastimmanent-befürchteten Spannungsabfällen führte; im Gegenteil.
Wie sie auch passioniert den klassisch ekklesialen Duktus und Text von Barmherzigkeit transportierte, entsprang den gottfürchtigen Tänzen und Liedern natürlich die Bewegung und das Temperament von ersten kreisenden Hüften und spritziger Freude, die die Stimmen und die Konzertbesucher ansteckten mitzuwippen. Federführend dabei Sopranistin Flores, die schließlich ebenfalls den weinend-flehenden, kurzen Einschub von Zweifel und Leid – wie in Gaspar Fernandes' A Belén me llego, tío – eindrücklich und expressiv verkörperte. Wehte ein fruchtig und dynamisch unterstütztes „Duerme soberano niño“ in Tomás de Torrejon y Velascos zärtlich-warmem Wiegenlied Desvelado dueño mío diese weg, weckten Barockgitarre und -harfe mit dem schnellen, bunten Feiertanz Vaya de gira Juan de Araujos auf, endgültig in den klingenden Rausch zu verfallen, vom Chor über Strophen für Sopran-, Alt und Tenorsolo bis zum Tutti mit geschwungenen Kastagnetten gesteigert.