Kurzfristige Programmänderungen sind nicht unüblich und auch vor Beginn dieses Konzerts wurde ein revidiertes Programm verteilt: Beethoven statt Hindemith, Bartóks Etüden statt Ligeti. Aber dabei sollte es nicht bleiben. Änderungen in allerletzter Minute sind bei diesem Künstler offenbar nichts Ungewöhnliches – ein Konzert der Überraschungen also.
Boris Berezovsky eröffnete sein Konzert in dem neobarocken, kürzlich renovierten und modern eingerichteten Salle del Castillo in Vevey mit der Waldstein-Sonate von Beethoven. Ich liebe diese Sonate und ich schätze Berezovsky als Interpreten hochvirtuoser Werke der Spätromantik und des 20. Jahrhunderts – aber Beethoven? Sicher, er war auch hier virtuos, spielte sehr rasch, mit aalglatter Perfektion, aber im Detail praktisch ohne Konturen, ohne kleinräumige Agogik. Feinheiten in der Artikulation waren kaum auszumachen. Der Pianist richtete sein Augenmerk auf den Fluss, auf die großen Bögen, die dramatische Entwicklung, beschleunigte auf Höhepunkte hin, im Wesentlichen aber zog er das Tempo durch. Die Interpretation wirkte allzu verschliffen und selbstredend ganz der Klangästhetik des modernen Konzertflügels verpflichtet.
Auf Beethoven folgte die Sonate pour Piano von Strawinsky, und ab hier war Berezovsky in seinem Element! Im Eröffnungssatz erschien die Begleitung rasend, geisterhaft schnell dahinhuschend, dafür die Melodie singend – wunderbare Musik, hinreißend gespielt, aber klar rascher als vom Komponisten angegeben. Das Adagietto erklang verspielt, zögernder, melancholisch und mit stockendem Fluss im Mittelteil, mit einem eindrücklichen Steigerungsbogen. Berezovsky meistert die Polyrhythmik dieses Satzes scheinbar ohne die geringste Anstrengung. Der dritte Satz greift das Tempo und die staccato-Begleitung des Eingangssatzes wieder auf, ist aber mehr auf Polyphonie ausgelegt, mit fugato-Partien, wild, virtuos, von Berezovsky wie spielend dargeboten.
Die Sonate Sz.80 (BB88) von Bartók ist ein faszinierendes Werk! Berezovsky lebte in der verqueren, synkopierten Rhythmik des Allegro moderat richtig auf und genoss die starke Rhythmik dieses Satzes mit der eindrücklich lärmenden Steigerung am Schluss. Der Mittelsatz erklang differenziert, sorgfältig in Dynamik im Anschlag: dissonant, aber melodisch mehr denn perkussiv, der Mittelteil schwankend zwischen schmerzhaftem Aufbegehren und melancholischer Einsamkeit. Die wilden Rhythmen im letzten Satz schien Berezovsky locker aus dem Ärmel zu schütteln: hinreißende Musik, mit eingestreuten Volksmelodien und einer heftig-dissonanten Schlusssteigerung, meisterhaft gespielt!
Nach der Pause wechselte Boris Berezovsky das Fach. Zumindest der Beginn von Tschaikowskys Dumka ist eher lyrisch und stimmungsvoll, allerdings kommt auch die Virtuosität zu ihrem Recht: der Mittelteil baut sich in einer dramatischen Steigerung zu einem wahren Feuerwerk auf, bevor sich wieder die ruhige Stimmung des Anfangs einstellt. Mir gefiel die oft spielerisch-leichte Interpretation, die sowohl die poetische wie die virtuose Seite des Pianisten zur Geltung brachte.