Angesichts des 100-Jahre Jubiläums des Endes des Ersten Weltkrieges hat der englische Tenor Ian Bostridge sich einer riesigen Aufgabe gestellt: die Gestaltung eines Liederprogramms, das über dieses grausame historische Ereignis hörbar reflektiert. Das Ergebnis dieser Herausforderung war die im Oktober 2018 erschienene CD Requiem: The Pity of War, auf der Bostridge mit Antonio Pappano am Klavier eine vielfältige Auswahl von Liedern angeboten hat, die nicht nur verschiedene historische und musikalische Epochen graziös zusammengebracht, sondern auch Krieg in all seinen Facetten ausgepackt hat: die schreckliche Gewalt und den zu früh kommenden Tod, selbstverständlich, aber auch den patriotischen Kampf und die bittersüße Liebe. Mit einer Ergänzung hat Bostridge dieses wunderbare Programm nun in die Kölner Philharmonie gebracht. Dort zeigte der Tenor gemeinsam mit dem Pianisten Julius Drake, warum er als einer der größten Liedinterpreten der Gegenwart gilt.
Bostridge und Drake präsentierten die drei vom Tod erzählenden Soldatenlieder aus Gustav Mahlers Zyklus Des Knaben Wunderhorn (1892-1898); vier Spätlieder von Kurt Weill (1941-42; 1947), deren Texte vom amerikanischen Lyriker Walt Whitman stammen und den amerikanischen Bürgerkrieg im 19. Jahrhundert thematisieren; Six Songs from A Shropshire Lad (1896) von George Butterworth, der in der Schlacht an der Somme erschossen wurde und den Verlust einer ganzen Generation junger Männer vorauskomponierte; den romantisch, durch Tonalität wandernden Zyklus Ich will dir singen ein Hohelied (1914) von Rudi Stephan, der als Zukunftstalent bejubelt wurde bevor auch er im Ersten Weltkrieg getötet wurde; und vier Lieder vom überzeugten Pazifisten Benjamin Britten aus seinem Zyklus Who are these children? (1969). Letztere sind nicht auf der CD erschienen aber passten perfekt zur Reihe, da sie Krieg und Gewalt in der Welt von Kindern darstellen, und auch Bezug auf Mahlers Wunderhorn-Zyklus mit seinen Kinderliedern aufnehmen.
Obwohl es von einem monumentalen Thema handelte, machte Bostridge im Konzert keine übergroßen Gesten oder übertriebenen Gesichtszüge. Er wirkte sogar fast lässig auf der Bühne. Dass Bostridge so viele Emotionen mit so wenig körperlicher Bewegung ausdrücken kann – flatternde Finger hier, auf Zehenspitzen da – liegt vor allem an seinem verinnerlichten Verständnis des Textes und der Musik und seiner einzigartigen Fähigkeit, dieses durch seine Stimme zu vermitteln. In den Soldatenliedern von Mahlers Des Knaben Wunderhorn kam er mehrmals am Rand eines Schreies und ließ dabei reine Angst und raue Wut aus sich herausströmen. Und er sang den Dialog in George Butterworths Is my team ploughing? mit klarem aber subtilem Tonunterschied zwischen den zwei Figuren, und verlieh dem Lied dabei eine traurige, herzbrechende Innigkeit. Bostridge bewies eine umfangreiche Expressions-Palette, jedoch ist seine Expressivität so tief in jedem einzelnen Moment eines Liedes verwurzelt, dass er die Lieder eigentlich für sich selbst sprechen ließ.