Es waren besondere Momente. Ehrendirigent Bernard Haitink hatte sich bereit erklärt, zwei Konzerte mit dem Royal Concertgebouw Orchester in Amsterdam bei den Robeco SummerNights und Luzern zu übernehmen. Er dirigierte aber nicht das ursprünglich angekündigte Konzertprogramm, sondern wie schon im Juni Mahlers Neunte Symphonie. Vor dem Sommer war er nach dem zweiten Konzert auf der Bühne gestürzt und hatte die restlichen drei Konzerte deswegen absagen müssen.
Die letzte vollendete Symphonie von Gustav Mahler beginnt mit einem Dialog zwischen dem Horn und zweiten Geigen. Das Englischhorn füllte den Raum mit der übernommenen Melodie, die weiter in die Klarinetten wandert. Was in den ersten Takten auffiel, war der jugendlich frische Klang und die optimistische Atmosphäre, die Haitink mit ruhigen Dirigierbewegungen dem Orchester zu entlocken wusste. Haitink war von 1961 bis 1988 der vierte Chefdirigent des RCO gewesen und seit 1999 ist er Ehrendirigent dieses Orchesters, dessen Mahlertradition er aktiv mitgestaltet hat. Es war also für Orchester und Publikum wie eine Zeitreise zurück zu Mahler, denn Haitink, welcher das RCO 1956 zum ersten Mal dirigiert hatte, könnte noch den einen oder anderen Musiker gekannt haben, der Mahler noch bei seinem Aufenthalt 1909 in Amsterdam selbst erlebt hatte.
Das Andante comodo lebte von Gegensätzen. Über den geheimnisvoll leisen Pauken schwebten Hörner mit bedrückenden Harmonien, während langsame Harfentöne ein einfaches Hornsolo, von Laurens Woudenberg mit viel Einfühlungsvermögen geblasen, begleiteten. Danach kam der Wind aus einer anderen Richtung. Mahlers Musik wurde aufbrausend, um in der Folge aber auch immer wieder stehenzubleiben. Haitink ließ sich viel Zeit, auch für das Suchen von zwei Streicherlinien über Hörnerakkorden – und plötzlich unterbrach ein provozierend freches Es-Klarinettensolo des unvergleichlichen Arno Piters die Stimmung. Im Laufe des Konzertes sorgte er mit seinem wunderbar klaren und auch in der Höhe niemals schrillen Ton immer wieder für Till Eulenspiegel-Momente und ein befreiendes Lachen. Die Flöte, sehr konzentriert, beinahe überirdisch gespielt von Kersten McCall, und das Horn lieferten sich ein Gefecht als wollten sie gar nichts voneinander wissen; das klang nicht mehr nach hochromantischer Musik, das war schon 20. Jahrhundert. Die Holzbläsersolisten schwebten über Momenten des Stillstehens, in denen man sich der Einzigartigkeit eines jeden Augenblicks wehmütig bewusst wurde. Auf einem Piccoloton endete dieser „Streit auf Leben und Tod“. Haitink sprach jüngst in einem Interview von diesem Wunder der Musik als eine Art Geheimsprache: „Man kann sie nicht fassen!“