ENFRDEES
The classical music website

Mutiger Musikmix: Calefax & Cappella Amsterdam mit Mutter Erde

Von , 08 Oktober 2023

Es liest sich wie ein Koloss von einem Programm: 12 Kompositionen von 11 Komponist*innen, 4 Bearbeitungen und 3 neue Werke ausgeführt von 2 musikbesessenen wagemutigen Niederländischen Ensembles. Dazu ein abendfüllendes Thema, dass niemand kalt lassen kann: Mutter Erde, so heißt der von Titus Tiel Groenestege in Szene gesetzte Konzertabend, für den sich Cappella Amsterdam und Calefax unter der konzentriert-engagierten Leitung von Daniel Reuss zusammengefunden hatten. In 90 Minuten ohne (Umbau)pausen rasten die mit raffiniertem Beleuchtungsplan (Floriaan Ganzevoort) exzellent und resolut dargebotenen Werke wie auf einer Achterbahnfahrt über die Bühne des Leidener Stadgehoorzaals.

Daniel Reuss mit Calefax Rietkwintet und Cappella Amsterdam in Amsterdam
© Milagro Elstak

Mutter Erde ist ein universelles Konzept, mit dem gleichzeitig jeder auf unserem Planeten seine eigenen Assoziationen hat. Es bezieht sich darüber hinaus auf Emotionen, die sich schwierig in Worte fassen lassen. Wir leben in einer Zeit, in der wir uns kollektiver als früher bewusst sind, dass die Erde ohne den Menschen auskommen könnte, der Mensch aber nicht ohne die Erde auskommt. Im Zeitalter des Elektroautos und der Flugscham erkennen immer mehr Menschen, dass es für jeden Einzelnen gilt, klare Entscheidungen zu treffen.

Das Programm begann vielsagend mit dem Chaos betitelten Satzes aus den Elementen des Barockkomponisten Jean-Féry Rebel in einer Bläserbearbeitung von Jelte Althuis. Wasser, Feuer Erde und Luft führen darin einen wilden Streit, der durch das Fehlen von Streichern und Cembalo leider einiges an Farbenreichtum im Vergleich zur Originalversion einbüßte. Wer nun aber dachte, dass die fünf Calefaxsolisten größeren Ensembles kein Paroli bieten konnten, wurde danach schnell eines Besseren belehrt.

Daniel Reuss dirigiert Cappella Amsterdam in Amsterdam
© Milagro Elstak

Schon die drei ausgewählten Sternzeichen aus Karlheinz Stockhausen Tierkreis ließen Aufhorchen. Jede dieser Melodien charakterisiert die besonderen Eigenschaften von Menschen, die unter dem jeweiligen Sternzeichen geboren wurden. Ursprünglich für Spieluhren konzipiert, kann das Werk in jeder beliebigen Besetzung aufgeführt werden. Abgewechselt wurden diese kurzen von Calefax prägnant und spritzig ausgeführten Stücke mit drei von Antonín Dvořáks fünf Lieder In der Natur , auf Texte von Vítězslav Hálek (1882) in denen Cappella sein Publikum in ein warmes volltönendes Bad tauchte. Das Abwechseln dieser volkstümlich-romantischer Chormusik mit Stockhausens melodiösen musikalischen Aphorismen war überraschend und schärfte die Ohren für beide Schaffensperioden.

Speziell für dieses Mutter Erde Projekt hatte die Komponistin Kate Moore ein neues Werk für Rohrblattquintett und Chor geschrieben. In Chestnut Poet: Song of the Chestnut Tree, a Story about Compassion konzentriert sich Moore, die auch den märchenhaft erzählenden Text schrieb, auf das menschliche Defizit, das ihrer Meinung nach der problematischen Beziehung zwischen den Menschen und dem Planeten zugrunde liegt: ein Mangel an Mitgefühl.

Calefax Rietkwintet in Amsterdam
© Milagro Elstak

Den Höhepunkt des Abends bildeten nach Claudio Monteverdis Hor che ‘l ciel e terra und Frank Tichelis Earth Song unzweifelhaft Claude Debussys La cathédrale engloutie in der kongenialen Bearbeitung von Calefax-Saxophonist Raaf Hekkema. Die mächtigen Klavierakkorde des Originals verdichteten sich zu Beginn im volltönenden Bläsersatz bevor Capella Amsterdam den impressionistischen Zauber von Debussys Harmonien regenbogenartig von der Bühne in den Saal versprühten.

Für die einkalkulierte Zugabe dieses anregenden Konzertabends stellten sich Calefaxbläser zwischen die Capellasänger und brachten Paul Simons The Sound of Silence in der vielschichtigen Chorbearbeitung von Alexander L'Estrange (für Voces8) zu Gehör. Bassklarinettist Jelte Althuis unterstützte mit seinen wohlklingenden tiefen Tönen die Bässe auf deren sicheren Fundament der melancholische Text zwischen einzelnen ausdrucksstarken Chorsolisten aufgeteilt war.

Hier und da wurde die bekannte Melodie leise mitgesummt. Solch ein gelungener Musikabend verbrüdert.

****1
Über unsere Stern-Bewertung
Veranstaltung anzeigen
“sie versprühten den impressionistischen Zauber von Debussys Harmonien regenbogenartig in den Saal”
Rezensierte Veranstaltung: Stadsgehoorzaal, Leiden, am 6 Oktober 2023
Rebel, Les Élémens: Chaos
Moore, Song of the Chestnut Tree
Dvořák, In Nature's Realm (V prírode) on poems by V. Hálek, Op.63
Ticheli, Earth Song
Monteverdi, Hor che il ciel e la terra
Debussy, Préludes, Bk 1 no. 10: La Cathédrale engloutie (The Sunken Cathedral)
Stockhausen, Tierkreis (Zodiac): 12 melodies of the star signs
Elgar, The Snow, Op.26 no.1
Simon, The Sound of Silence
Titus Tiel Groenestege, Regie
Floriaan Ganzevoort, Licht
Cappella Amsterdam
Calefax Rietkwintet
Durch Mark und Bein: Alfred Schnittkes Bußverse mit Cappella Amsterdam
****1
Brazilian-flavoured Rite of Spring opens the Holland Festival
****1
Hugh Wolff remarquable à Bozar dans la Missa solemnis
*****
Toxic masculinity in Orchestra of the 18th century's Don Giovanni
***11
Airborne string players and choral wizardry in aus LICHT Part 3
****1
Progress thwarted: Stravinsky's Rake at the Elbphilharmonie
***11
Weitere Kritiken...