Mit dem Orquestra Sinfónica do Porto Casa da Música begrüßte man beim diesjährigen räsonanz-Stifterkonzert der Ernst von Siemens Musikstiftung, zugleich einem Abend der musica viva-Reihe des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, einen traditionsreichen Klangkörper aus der nördlichsten Stadt Portugals. Unter Leitung seines Chefdirigenten Stefan Blunier, der in Porto auch eine intensive Pflege zeitgenössischer Musik betreibt, standen zwei Komponisten auf dem Programm, die für bedeutende künstlerische Ausdrucksweisen der Werke des 20. Jahrhunderts stehen.
Eine besondere Beziehung verbindet das Orchester mit dem Portugiesen Emmanuel Nunes, der, 2012 verstorben, als Zeitzeuge und Begleiter der portugiesischen „Nelkenrevolution“ gilt, die vor genau 50 Jahren den grundlegenden Demokratisierungsprozess des Staats eröffnete. Musik von Helmut Lachenmann, 89-jährig noch immer als Komponist und Lehrer unterwegs, steht auch im Mittelpunkt der diesjährigen musica viva-Saison des Bayerischen Rundfunks in München. 50-jähriges Jubiläum feiert dazu das Arditti-Quartett, das als Solistenensemble im Konzert auftrat.
Beide Werke des Abends stammen aus der Dekade nach 1970. Emmanuel Nunes hatte die Darmstädter Ferienkurse besucht, einen Treffpunkt der damaligen Avantgarde, bei Karlheinz Stockhausen studiert. Dessen Affinität zu Mischklängen aus instrumentalen und elektronischen Komponenten beeinflusste hörbar auch Nunes’ Ruf für Orchester und Tonband. Auf Bluniers Pult liegt eine große Partitur, zugleich zeigt ein Bildschirm hinter dem Pult die ablaufende Zeit an, in der elektronische Klänge hinzugemischt werden, von einem Tonband oder einer computergesteuerten Quelle. In bestimmten Abschnitten der Partitur wird die Uhr dagegen angehalten; dann leitete Blunier als Koordinator den Ablauf des Musizierens.
„Ruf“ kann dabei ganz unterschiedliche Vorgänge symbolisieren: im ersten Teil des Werks entwickeln sich aus einem anschwellenden Ton markante Rhythmuszellen in den Holz- und Blechbläsern, verstärkt durch Impulse von Schlagwerk, Klavier und Celesta. Auch wenn die zugespielten Signale, Sinuswellen oder auf- und abschwellendes Brodeln regelmäßiger erschienen, ergab sich doch ein eher unstrukturierter Mischklang, aus dem, wie bei rauer See, kleine Fontänen wie Rufe emporschnellten. Hier leisteten die Musiker in bewundernswerter Konzentration ein vorbildliche Ziselieren des dicht gewirkten Orchestersatzes, zu einem langsam sich ergießenden Tonfluss. Melodische Abschnitte formten sich im zweiten Teil, wenn lange Haltetöne zu meditativen Momenten wurden, Zitate aus Barock und Romantik bis zu Mahlers Lied von der Erde auf die Wurzeln in der Musikgeschichte weisen. Ein lang zelebriertes Verklingen, mit letzten leisen Rufen von Harfe und Schlagzeug, schloss das Fenster zu einem raffinierten Spiel aus Zeit und Raum.