Selten ist der Alfried Krupp Saal so voll besetzt wie an dem Abend, als das venezolanische Simón Bolívar Symphonieorchester unter der Leitung von Gustavo Dudamel in Essen gastierte. Die südamerikanische Lebensfreude war bis in die hintersten Reihen des Saales zu spüren und verlieh dem Konzertabend einen ganz besonderen Charme.
Bei russischer Ballettmusik denkt man in der Regel unmittelbar an Tschaikowsky und seine Kompositionen zu Schwanensee oder dem Nussknacker. Dass auch Igor Strawinsky zu Beginn des 20. Jahrhunderts Ballettmusik für die von Sergej Diaghilev geleiteten Ballets Russes geschrieben hat, wird dabei oft vergessen. Nicht etwa, weil Strawinskys Werke nicht hörenswert sind. Ganz im Gegenteil; sie werden recht häufig zur Aufführung gebracht. Allerdings werden sie ebenso oft aus dem Ballettkontext herausgenommen, um als selbstständige Orchesterwerke zu erklingen. Mit Petruschka und Le sacre du printemps waren an diesem Abend gleich zwei von Strawinskys Ballettmusiken in Essen zu hören.
So lebendig und farbenfroh wie das Simón Bolívar Symphonieorchester spielte, waren die Tänzer auch nicht zwingend notwendig, um die Geschichte rund um Petruschka, das Butterfest und den Jahrmarkt verständlich zu machen. Die burlesken Szenen erklangen in einem warmen, brillanten Ton, der mit einer sagenhaften Synchronität des Orchesters, selbst im Pizzicato, bestach. Mit voller Konzentration und energischem Spiel, das bis zum letzten Pult zu beobachten war, erzeugten die Musiker eine feurige Energie, die sich auch auf den Zuhörer übertrug. Strawinskys Motive wurden mit strahlendem Ton vorgestellt, und die Stimmen glitten geradezu fließen ineinander über. Mir fällt einzig ein europäisches Orchester ein, das eine ähnliche besondere Freude und Strahlkraft beim Spielen zeigt: Das Orchestre de Paris ist ebenfalls ganz ungezwungen, frei und glänzt mit großem Ton.
Bei seiner Uraufführung 1913 in Paris war Le sacre du printemps, zu deutsch Das Frühlingsopfer, alles andere als ein Erfolg. Es löste gar einen Aufruhr im Therese des Champagnerglases aus, besonders auf Grund von Nijinskys überaus moderner und gewagter Choreographie. Nach der anfänglichen Ablehnung wurde die für damalige Verhältnisse radikale Komposition Strawinskys schließlich doch gefeiert und wird heutzutage oftmals als autonomes Musikwerk aufgeführt. Sie erzählt die Geschichte des großen russischen Frühlings, der plötzlich und mit einer großen Wucht ausbricht. Dabei schallte er in einer so ungeheuren Lautstärke durch den Alfried Krupp Saal, dass man geradezu froh war, nicht in der vordersten Reihe zu sitzen.