Wer je einen Meisterkurs mit Sir András Schiff verfolgt hat, weiß, wie viel Wert er auf äußerste Präzision in der Dynamik, das Gewicht jedes einzelnen Fingers, jeder Figur in einem komplexen Klaviersatz legt: ein Meister der dynamischen Differenzierung, der Sorgfalt. Wer anderseits seine Gesprächskonzerte erlebt, weiß, dass er sehr bewusst, reflektiert, mehr denn spontan an die Werke herangeht.
Schiff begann sein breitgefächertes Programm im Barock, mit Bachs Capriccio. Das einleitende Adagio nahm Schiff dabei zu zügig und auch das Adagissimo des dritten Satzes war eigentlich keines. Bachs reiche Verzierungen spielte der Pianist meist zeitgerecht – man merkt, dass ihm Bachs Musik ein Anliegen ist, selbst wenn er aus Gründen der Konzertakustik nicht auf den modernen Flügel verzichten will. Das angeschlagene Tempo nötigte zwar zu Vereinfachungen bei Bachs Verzierungen, aber dennoch erschien der Klaviersatz oftmals randvoll mit Arabesken. Detaillierte Klangrede in den Floskeln, wie sie das Cembalo ermöglicht, kann allerdings auf dem Flügel kaum Wirkung entfalten. Immerhin hätte das Thema der abschließenden Fuge durchaus eine differenziertere Artikulation verdient, statt durchgehendes Portato wie bei Schiff: Bach beschränkt seine Annotationen auf das absolut Nötigste. Allgemein war Schiffs Bach eher ausdrucksarm, allzu sehr auf schönes, ästhetisches, wenn nicht gar liebliches Spiel bedacht. Bachs Angaben zu den in den Sätzen beschriebenen Szenen – ob sie jetzt ironisch oder ernst gemeint waren – rufen doch förmlich nach ausdrucksreicher Klangrede!
Schiff nahm den Blick nicht von der Tastatur, fuhr nach wenigen Sekunden mit Beethovens Klaviersonate Nr. 26 fort. Der erste Satz beschreibt zwar ebenfalls einen Abschied, dennoch schien der Übergang von Bach nicht sehr schlüssig. Die Beschreibung von Schiffs Beethoven-Interpretation scheint exemplarisch für den ganzen Abend: technisch makellos (abgesehen von einem hörbaren Lapsus zu Beginn des Allegro), dynamisch äußerst sorgfältig gestaltete Bögen, perfekter, aber eher weicher Anschlag. Er ist dabei nie aggressiv, jegliche Härte und Schroffheit vermeidend, auf die Melodien, den singenden Ton fokussiert, dem Wohlklang verpflichtet. Die runde, warme Sonorität, das Singen des ausgezeichnet intonierten und gestimmten Bösendorfer war dem Interpreten dabei selbstredend mehr als nur Hilfe, eher schon Voraussetzung. Leider opferte der Künstler dabei fast jegliche „sprechende“ Artikulation auf Motiv-Ebene, und ließ das impulsive, aufbrausende Temperament des Komponisten vermissen. Letzteres traf noch mehr auf den „Wiedersehenssatz“ zu: nicht überbordend vor Freude, sondern oftmals zu elegant-fließend, impulsiv allenfalls momentan, so in den Synkopen.