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Aufgeklärter Romantiker: Sir András Schiff und das Orchestra of the Age of Enlightenment

Von , 20 Mai 2025

Immer die gleichen Stücke in Interpretationen, die sich gleichen wie ein Ei dem andern: Dies ist ein gängiger Vorwurf, dem Veranstalter klassischer Konzerte ausgesetzt sind. Die Kombination von Schumanns Klavierkonzert und Mendelssohns Sommernachtstraum scheint diesen Vorwurf zu bestätigen. Doch halt! Da erklingt zu Beginn des Abends in der Neuen Konzertreihe Zürich noch eine Komposition, die nur die wenigsten kennen, obwohl sie ebenfalls von Schumann stammt: dessen Konzertstück für Klavier und Orchester G-Dur, Op.92. Und das Soloinstrument ist diesmal nicht der überall verwendete Steinway, sondern ein Flügel aus der Werkstatt der Leipziger Firma Julius Blüthner aus dem Jahr 1859. Gespielt wird er von Sir András Schiff, der dabei vom Orchestra of the Age of the Enlightenment begleitet wird.

Sir András Schiff
© Nadia F. Romanini | ECM Records

Auch bald vierzig Jahre nach seiner Entstehung ist das Originalklang-Ensemble aus London immer noch für Überraschungen gut. Ursprünglich gegründet für die Neuaufbereitung der Musik aus der Zeit der Aufklärung, hat das Orchester mit seinem historischen Aufführungsansatz längst auch das Zeitalter der Romantik erobert. Nun also Schiff auf seinem Blüthner-Flügel und das Enlightenment-Orchester als Begleitkörper in Schumanns Konzertstück.

Als erstes fällt der Klang des Flügels auf. Unter den Händen des Pianisten klingt er überhaupt nicht wuchtig, sondern hell und obertonreich. Und es entsteht dadurch ein ausgewogenes Lautstärke-Verhältnis zum Orchester. Dieses zeichnet sich, im Unterschied zu den „normalen“ Orchestern, durch einen ausgesprochenen Spaltklang aus. Die Instrumente verschmelzen nicht so sehr, sondern heben sich voneinander ab. Etwa die erste Klarinette, das erste Horn, die Trompeten und die Pauken sind deutlich aus dem Gesamtklang herauszuhören. Dies erzeugt ein spannendes, ungewohntes Hörerlebnis. Schade, dass Schumann diesen originellen Einzelsatz nicht zu einem dreisätzigen Klavierkonzert vervollständigt hat.

Am bekannten Objekt des Klavierkonzerts a-Moll, Op.54 bestätigen sich dann die Höreindrücke. Schiff spielt einfach anders als die meisten seiner Berufskollegen. Seinen Interpretationskonzept könnte man als das eines aufgeklärten Romantikers bezeichnen. Aufgeklärt durchaus im Doppelsinn des Wortes: hell in der Klanggebung und geistreich in der Durchgestaltung des musikalischen Materials. Das berühmte Hauptthema des ersten Satzes beispielsweise gestaltet er erstaunlich „unromantisch“, flüssig im Tempo und plastisch in der Artikulation. Schiffs Tempi sind generell sehr eigenwillig: Wo andere Pianisten abbremsen, legt er zu, und wo andere forcieren, schaltet er einen Gang zurück. Manchmal grenzt dies an das Geschmäcklerische, beispielsweise am Schluss des Mittelsatzes, wo das Orchester ein sonst nie gehörtes Fading out vollzieht. Merklich unterschiedlich im Vergleich zu üblichen Interpretationen erklingt der Schlusssatz: durchhörbar, nicht unnötig aufgeladen und bisweilen gar tänzerisch.

Die außerordentlichen Qualitäten des Spitzenorchesters zeigen sich in den vier gespielten Sätzen aus Mendelssohns Orchesterfassung der Schauspielmusik Ein Sommernachtstraum. Sie bieten Gelegenheit, die spezifischen Klangfarben der einzelnen Instrumente ins beste Licht zu rücken. Erwähnt sei beispielsweise die Mitwirkung einer exotisch klingenden Ophikleide in der Ouvertüre oder das Solo auf dem schwierig zu bändigenden Naturhorn im Notturno. Die Blasinstrumente wetteifern auf das Schönste mit den Streichinstrumenten und lassen die von Shakespeare angeregten Szenen von Feenzauber und nächtlichem Spuk vor dem inneren Auge erstehen. Schiff, der auf ein Dirigentenpodest verzichtet, seht auf gleicher Ebene wie die Streicher und leitet das Ganze mit sparsamen Bewegungen quasi als Primus inter Pares.

Große Überraschung bei den Zugaben: Nach dem Intermezzo, Op.117 Nr.1 von Brahms lassen die gutgelaunten Gäste es sich nicht nehmen, noch die zehn Minuten dauernde Hebriden-Ouvertüre von Mendelssohn anzuhängen. Fünf Sterne also für ein nicht alltägliches Programm, einen originellen Interpretationsansatz und verschwenderische Zugaben.


Das Konzert wurde von Hochuli Konzert AG veranstaltet.

*****
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“Schiffs Interpretationskonzept könnte man als das eines aufgeklärten Romantikers bezeichnen”
Rezensierte Veranstaltung: Tonhalle: Grosser Saal, Zürich, am 19 Mai 2025
Schumann, Introduction and Allegro appassionato, Op.92
Mendelssohn Bartholdy, Ein Sommernachtstraum: Ouvertüre, Op.21
Mendelssohn Bartholdy, Ein Sommernachtstraum, Op.61: Intermezzo
Mendelssohn Bartholdy, Ein Sommernachtstraum, Op.61: Nocturne
Mendelssohn Bartholdy, Ein Sommernachtstraum, Op.61: Scherzo
Schumann, Klavierkonzert in a-Moll, Op.54
Sir András Schiff, Fortepiano, Musikalische Leitung
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