Richard Wagner bekam mal wieder Geldprobleme, als er wegen seines Engagements in der 1848er Revolution Dresden verlassen musste und nach Zürich floh. Er unterbrach seine Arbeit am Ring des Nibelungen und stellte sich ein neues Werk vor, das „von bescheidenem Rahmen“ sein sollte, für Stadttheater-Solisten geeignet, bei geringerer Orchesterstärke auch als beim gleichzeitig entstehenden Ring. Im mittelalterlichen Epos des Gottfried von Straßburg konzentrierte er sich auf die Liebesgeschichte von Tristan und Isolde, sah sich selbst in Tristans Rolle, die Gattin Mathilde des vermögenden Kaufmanns Otto von Wesendonck in Zürich als wie eine Muse ihn stimulierende Isolde.
Dass er die zunächst wie ein Kammerspiel anmutende dramatische Begegnung von Tristan und Isolde in harmonisch bis dato unerkundete Gefilde führte und die Beschäftigung mit Novalis’ Hymnen an die Nacht sowie Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung in sein Libretto hineinwirkte, machte das Werk dann doch zu einer seiner anspruchsvollsten Schöpfungen. So wurden erste Einstudierungen in Rio de Janeiro und Karlsruhe ergebnislos abgebrochen, in Wien gar nach 77 Proben. Erst 1865 konnte Hans von Bülow am Nationaltheater München die Uraufführung zuwege bringen. Dass 1865 auch Isolde, erstes gemeinsames Kind von Cosima von Bülow und Wagner, in München geboren wurde und Cosima 1867 Bülow für Wagner verließ, überschattete die Freundschaft zwischen Wagner und Bülow, der 1880 als Hofmusikintendant nach Meiningen wechselte.
Schopenhauer hatte die Welt als Schein beschrieben, deren Erscheinungen als Ergebnis des Willens, einer unsichtbaren, metaphysischen Kraft. So wird der Tag zum Sinnbild eines Strebens nach Erfolg und Ruhm; die Nacht gibt dem Unbewussten Raum, den Tristan und Isolde mit ihrer Individualität und ihrer Sehnsucht füllen. Realität und Transzendenz: für deren Visualisierung am Staatstheater Meiningen haben sich die Regisseurin Verena Stoiber und ihr Regieteam von Filmen wie Christopher Nolans Interception inspirieren lassen, in denen mit medizinischen Tinkturen Träume initiiert und beeinflusst werden. Brangänes Trank lässt Tristan wie Isolde in eine Traumwelt tauchen, in der sich das Bewusstsein in Raum und Zeit ändert. Berauscht können sie gleichzeitig Kräfte entwickeln, Sehnsüchte gezielt durchleben.
Für solche Traumsequenzen hat der Videokünstler Jonas Dahl mit Greenscreening ein zeitgemäß progressives Format entwickelt. Ähnlich wie in TV-Studios werden auf eine grüne Wand Videos projiziert, die sich mit dem Spiel von Personen davor zu einer neuen Realität zu vermischen scheinen. In Meinigen ist eine bespielte kleinere Bühnenbox von einem derartigen Greenscreen umgeben, der stehende oder langsam bewegte Bilder, teils rasant durchrauschende Kamerafahrten wie digitale Leitmotive zeigt. So öffnet sich eine prall gefüllte Wundertüte optischer Eindrücke, die die Aufmerksamkeit für das sich synchron ereignende musikalische Spiel mindern.
Dass bereits während der Ouvertüre Tristan im Rückblick auf seine Kindheit mit einem selbstgebastelten Segelboot am Flussufer spielt, Isolde im Wald nach Steinen sucht, wirkt – im Vergleich zur Musik – reichlich banal. Immerhin bietet die Traumsequenz im ersten Aufzug, nach etwas zäher Handlung in der Lounge eines hölzern getäfelten Schiffsbauchs und erstem Trank der beiden, ein erfrischend rauschhaftes Abtauchen in eine bunte Unterwasserwelt. Die Liebesszene des zweiten Aufzugs beginnt in fast bürgerlichen Bettfluten; dann kippen Seitenwände hinweg und zum O sink hernieder, Nacht der Liebe setzt eine wilde digitale Bilderorgie ein, wenn Tristan das Bett zur Bar umbaut, die Raumfahrt der Kamera an einem flimmernden Ozeandampfer entlang mit dem Sonnenuntergang hinter einem Bergsee endet, kosmisches Gleiten in Weltraumanzügen mit Hochzeitsmomenten in gotischer Kathedrale mischt, deren Taufstein zerbröselt und eine edelstahlglänzende Bikermaschine freigibt, auf der beide nun in Jeans und geblümter Hippiehose durch endlos kahle Landschaft kurven. Filmmusik zu Nolans neuem The Odyssey?