Alle Jahre wieder, die Zeit der Traditionen und Rituale: Es ist Dezember. Aber wer hätte gedacht, Thomas Hengelbrock und seine Ensembles (Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble), damit in Verbindung zu bringen. Verlässlicherweise geschah dies im Konzerthaus Dortmund, wo diese Künstler einmal mehr mit Bachs Weihnachtsoratorium und einem Werk Jan Dismas Zelenkas barocke Pracht auf die von leidigem Gedudel arrangierter Weihnachtslieder gestählten Zuhörer schneien ließen. Aber das natürlich gar nicht kitschig, sondern aufgeräumt und neu.
Die expressive Lebendigkeit, sei es beim unverkennbaren Zelenka oder Bachs dramatischen Evangeliumsbericht, und deren weltliche und sakrale, schwingende Leichtigkeit wichen dabei jedoch bis auf wenige Ausnahmen dem diesmal strengen, langsam-sanften Interpretationsansatz Hengelbrocks. Auch wenn dieses Vorgehen zu Lasten der Dramatik und eintönig empfundener, romantisierender Noblesse nicht meinem Geschmack entsprach – ganz abgesehen von der inneren Kohärenz-Frage, warum bei diesem Ansatz ein groß besetztes Streichorchester gewählt wurde –, muss doch die instrumentale und hervorragende stimmliche Leistung gewürdigt werden. Alles ergoss sich in wohligem Schönklang, der von perfekter Intonation war. Besonders verständlich gerieten so zwangsläufig Text und musikalische Motive.
Nach seinen Missa-Erkundungen der vergangenen Jahre brachte Hengelbrock zu Beginn Zelenkas Magnificat in D-Dur als Geschenk mit, das als Einschub vor dem in gleicher Tonart beginnenden Weihnachtsoratorium nicht nur passend war, sondern dem üblichen Pfad der alleinstehenden, sukzessiven Kantatenwiedergabe eine eigene Note gab. Unter Berücksichtigung des bereits erwähnten, vorherrschenden Schönklang-Kriteriums an diesem Abend bildeten die Chorsätze im Magnificat eine der dramatischen, feurigen Ausnahmen, ohne vollumfänglich Zelenkas eigenwillige, schroffe „Bizarrheit“ einzigartig böhmischen Temperaments zu zeichnen, die unter anderem im typisch fetzig-knackigen Tempo offenbar wird.
Der Chor intonierte gleich einnehmend klanggewaltig und wunderbar ausgewogen, sodass man zusammen mit den kräftigen Streichern im Metrum fundierter Klarheit sofort in den energischen Sog der angriffslustigen Melodie geriet, geschmückt vom festlichem Glanz der Trompeten und Pauken. Die zackigen Sechzehntel-Verzierungen (instrumental wie gesanglich) erklangen genauso problemlos leicht und glamourös wie beispielsweise das Amen, das das kurze Werk in gängiger Fuge beschließt, welche Hengelbrock von anfänglichem Piano über ein langes Crescendo dynamisch auskostete. In den Solisten-Expositionen zeigte besonders Alex Potter mit seinem durchdringend-reinen Alt schon, dass sein Vortrag in späterer Bach-Arie zu einem absoluten Highlight werden sollte.
Subito ging es mit den knalligen Pauken und funkelnden, perfekten Trompeten ins Weihnachtsoratorium über, das ja zum Glück – zweifellos an prominentester Stelle neben Händels Messias – noch hochmusikalischer Evergreen ist, der einfach dazu gehört, ohne einen ohrensatt zu machen. Im lauten, befreiten und vitalen „Jauchzet, frohlocket“ des Balthasar-Neumann-Chores konnte man deutlichste, persönlich angenehmste Ausnahme von Hengelbrocks Linie vernehmen, wobei das lieblich durchgeführte „Dienet dem Höchsten“ bereits von nachfolgendem sanft-getragenen Korsett künden sollte, bei dem penibel auf die piano-Ausführung geachtet wurde. Insgesamt wurde allerdings mit gebührend dankender Ausnahme der exponierten Oboen nicht zu stark artikuliert.