Weihnachten wäre nicht Weihnachten ohne Maronen, Truthahn, Weihnachtslieder – und ohne den Nussknacker. Das Stück ist zum festen Bestandteil der Weihnachtszeit geworden, und eine der Freuden jeder Vorstellung ist es, die aufgeregten Reaktionen der Kinder zu beobachten, für die es oft der erste Kontakt mit der Kunstform ist.
Das Ballett wurde am 18. Dezember 1892 am Mariinski-Theater als Teil eines Doppelprogramms mit Tschaikowskys Oper Jolanta uraufgeführt. Es war kein unmittelbarer Erfolg – Jolanta kam zunächst viel besser beim Publikum an, doch der anfängliche Ruhm ist lange verblasst. Der Komponist schrieb an seinen Bruder Anatoly: „Die Produktion von beiden Werken war prächtig, die des Ballettes sogar zu prächtig. Die Augen sind müde von all diesem Luxus.“ Ein Tanzkritiker kommentierte abwertend: „Dieses Kinderballett ist auf kindliche Art gemacht. Das Programm ist reines Kindergeplänkel!“
Ivan Vsevolozhsky hatte das Doppelprogramm nach dem immensen Erfolg von Dornröschen – wahrscheinlich Tschaikowskys größte (und sicherlich symphonischste) Ballettmusik – in Auftrag gegeben. Der Choreograph für das neue Ballett sollte abermals Marius Petipa sein, und er suchte sich E.T.A. Hoffmanns Geschichte Der Nussknacker und der Mäusekönig (1816), genauer Alexandre Dumas pères Adaption (Histoire d'un casse-noisette) als Sujet aus. In Hoffmanns Original erwacht Marie Stahlbaums liebstes Spielzeug, ein Nussknacker, den sie von ihrem mysteriösen Paten Drosselmeyer bekommen hat, an Heilig Abend zum Leben. Er besiegt den bösen, siebenköpfigen Mäusekönig im Kampf und nimmt sie dann mit in ein magisches Königreich.
Hoffmanns düstere Erzählung mit langer Retrospektive trägt den Titel Das Märchen von der harten Nuss. In dieser Geschichte der Prinzessin Pirlipat und Frau Mauserinks wird erklärt, wie Drosselmeyers Neffe einem Fluch zum Opfer viel und in einen Nussknacker verwandelt wurde. Viel der düsteren Stimmung wurde aus Petipas Programm für Tschaikowsky herausgeschnitten, doch der geheimnisvolle Drosselmeyer und der Mäusekönig sollten einem noch immer einen Schauer über den Rücken laufen lassen. Wayne Eaglings Produktion für das Englische Nationalballett gibt dem Mäusekönig einen Schädel als Kopf.
Petipa war nicht in der Lage, das Ballett abzuschließen, und die Choreographie wurde von Lew Iwanow vollendet. Petipa schrieb jedoch einen detaillierten Plan für die Tanz- und Pantomime-Szenen. Die Anweisung für den „Tanz der Zuckerfee“ im Grand pas de deux beispielsweise lauten: „32 Takte Staccato im 2/4-Takt. In dieser Musik ist es, als höre man Wassertropfen, die aus einem Springbrunnen schießen. Ende mit sehr schnellen 24 Takten.“ Tschaikowskys Musik für dieses Solo benutzte ein Instrument, das für viele Zuhörer neu war: die Celesta. Gerüchten zufolge hielt der Komponist das Instrument fest unter Verschluss aus Sorge, andere Komponisten könnten ihm die Idee stehlen, doch er hatte es bereits im Jahr zuvor in seiner symphonischen Dichtung Der Wojewode verwendet.
Die Musik im Nussknacker gehört zum Einprägsamsten in Tschaikowskys Schaffen, besonders die Charaktertänze im zweiten Akt, die selbst von Menschen erkannt werden, die das Ballett nie gesehen haben: Der „Trepak“, der „Tanz der Zuckerfee“, der „Marsch“ und der „Tanz der Rohrflöten“ gehören Dank ihrer Verwendung in Fernsehwerbung und Filmsoundtracks (besonders Disneys Fantasia) alle zur Populärkultur... wer kann den „Chinesischen Tanz“ hören, ohne dabei an Pilze zu denken, die sich auf komische Weise verbeugen und umher schlurfen? Doch die ausdrucksvollste Musik hört man zur Klimax jedes Aktes: die Verwandlung des Weihnachtsbaumes und die Reise durch den Pinienwald im ersten Akt beinhalten superbe Musik und sind ein Geschenk für die Regie; das eröffnende Adagio für den Grand pas de deux im zweiten Akt ist bemerkenswert, und Tschaikowsky zeigt darin, was man mit einer einfachen absteigenden G-Dur-Skala alles machen kann!