ENFRDEES
The classical music website

Bachtrack Top Ten: Gustav Mahler

Von , 07 Juli 2023

„Die Symphonie muß sein wie die Welt. Sie muß alles umfassen”, erklärte Gustav Mahler 1907 Jean Sibelius. Heute ist Mahler vor allem für seine langatmigen Symphonien bekannt, die in der Tat „alles umfassen”, von der Natur über die Angst des Fin de Siècle bis hin zu Ekstase und Resignation. Zu seinen Lebzeiten war Mahler jedoch eher als Dirigent berühmt, unter anderem durch hochkarätige Engagements am Stadttheater Hamburg, an der Wiener Hofoper, an der Metropolitan Opera und bei den New York Philharmonic.

Gustav Mahler (1907)
© Public domain

Mahler wurde 1860 in Böhmen geboren, das damals zum Habsburger Reich gehörte. Aus bescheidenen Verhältnissen stammend, hatte sein Vater eine Schnapsbrennerei und ein Wirtshaus in Iglau aufgebaut, wo der junge Gustav über Straßenlieder, Tanzmelodien, Volksmelodien und Militärkapellen an die Musik herangeführt wurde – Klänge, die vor allem seine frühen Symphonien durchdringen sollten. Als Jude fühlte er sich oft als Außenseiter – „immer ein Eindringling, nie willkommen” – besonders in Wien, wo antisemitische Gruppierungen seine Arbeit erschwerten. Bei Orchestern und Sängern war Mahler wegen seiner rigorosen Probenpläne nie besonders beliebt, aber er setzte sich für neue Werke ein und verbesserte sicherlich die Standards.

Nach einer stürmischen Romanze heiratete er 1902 Alma Schindler. Im Sommer 1907 starb die älteste Tochter Maria an Scharlach und Diptherie, und fast zeitgleich wurde bei Mahler ein Herzfehler diagnostiziert, was Alma als nahezu ein Todesurteil bezeichnete. Er starb 1911 im Alter von nur 50 Jahren. 

Gustav Mahler gezeichnet von Emil Orlik (1902)
© Public domain

Mahlers Musik wurde zu seinen Lebzeiten nicht immer gut aufgenommen. Die Reaktion eines Wiener Kritikers auf die Dritte Symphonie lautete: „Wer eine solche Tat begangen hat, verdient ein paar Jahre Gefängnis.” Die verworrenen, ausufernden Werke, die für große Orchesterbesetzungen (und manchmal auch für Chöre) geschrieben wurden, verwirrten viele Zuhörer der damaligen Zeit. Mahler selbst wusste, dass seine Zeit als Komponist kommen würde. Es war ein anderer Komponist und Dirigent, Leonard Bernstein, der Mahler zwar nicht gerade vor dem Vergessen rettete, aber viel dazu beitrug, die Symphonien populär zu machen und sie zu einer festen Größe in jeder Orchestersaison werden zu lassen. Diese Playlist enthält nicht alle Symphonien... aber sie ist nah dran!

1Symphonie Nr. 3 d-Moll

Die Dritte Symphonie ist Mahers Hymne an die Natur, ein episches Werk in sechs Sätzen, mit 90 Minuten die längste Symphonie des Standardrepertoires. Es ist ein Lobgesang auf den Pantheismus, der durch den Eröffnungssatz mit dem Titel Pan erwacht. Der Sommer marschiert ein in Gang gesetzt wird. Naturklänge repräsentieren den „weltlichen Tumult”, aber Mahlers umfassenderes Weltbild wird durch zwei Liedvertonungen deutlich: Zarathustras Nachtwandlerlied aus Friedrich Nietzsches Also sprach Zarathustra mit seinen Oboen-Glissandi, das den vierten Satz bildet, und Das himmlische Leben, ein Wunderhorn-Lied, das Mahler als Finale dieser Symphonie vorgesehen hatte, aber stattdessen zum Finale der Vierten umdichtete. Mahler schließt mit einem langen, entrückten Adagio unter der Überschrift Was mir die Liebe sagt, einem Satz, den William Ritter 1902 als „vielleicht das größte Adagio, das seit Beethoven geschrieben wurde” bezeichnete.

2Symphonie Nr. 2 C-Dur, „Auferstehungssymphonie”

Mahlers Zweite Symphonie, die von Glaube und Zweifel, Leben, Tod und Auferstehung handelt, entstand über einen Zeitraum von sieben Jahren. Die Arbeit wurde 1889 unterbrochen, als sein Vater, seine Mutter und seine Schwester innerhalb weniger Monate starben, und die Uraufführung seiner Ersten Symphonie stieß auf ein negatives Echo bei den Kritikern. Erst 1893 nahm Mahler die Symphonie wieder auf und veröffentlichte den ersten Satz als eigenständige symphonische Dichtung unter dem Titel Todtenfeier. Des Knaben Wunderhorn motivierte Mahler zum Weitermachen: Er schrieb das Lied Des Antonius von Padua Fischpredigt und baute gleichzeitig eine Orchesterfassung in den dritten Satz ein, während Urlicht zum vierten Satz wurde. Die Inspiration für das erhebende Chorfinale kam Mahler 1894 bei der Beerdigung von Hans von Bülow, wo er von der Orgelempore aus Zeilen aus Klopstocks Auferstehen erklingen hörte.

3Symphonie Nr. 9 D-Dur

Nach der Diagnose eines Herzleidens, an dem er sterben sollte, musste Mahler seine Wanderungen in den Wäldern und Bergen aufgeben. Im Jahr 1909 verbrachte er einen Großteil des Sommers allein in seinem Komponierhäuschen in Tirol. In einem Brief an den Dirigenten Bruno Walter gestand Mahler: „Die Abgeschiedenheit, in der meine Aufmerksamkeit mehr nach innen gerichtet ist, lässt mich um so deutlicher fühlen, dass mit mir körperlich nicht alles in Ordnung ist.” Trotz der bukolischen Ländler im zweiten Satz und der Rondo-Burleske im dritten ist nach den Worten Alban Bergs „der Tod unausweichlich”, und das lange, langsame Finale wirkt wie ein nachdenklicher Abschied. Im darauf folgenden Sommer begann Mahler seine Zehnte, die er jedoch nie vollenden sollte.

4Symphonie Nr. 5 in cis-Moll

Die Fünfte war Mahlers erste reine Instrumentalsymphonie seit seiner Ersten. Sie ist seine berühmteste, vor allem weil ihr vierter Satz, ein Adagietto nur für Streicher und Harfe, durch seine ikonische Verwendung in Luchino Viscontis Film Tod in Venedig ein breites Publikum fand. Dem Dirigenten Willem Mengelberg zufolge „war dieses Adagietto Gustav Mahlers Liebeserklärung an Alma! Anstelle eines Briefes vertraute er sie ihr in diesem Satz an, ohne ein Wort der Erklärung. Sie hat es verstanden.” Die Symphonie besteht aus fünf Sätzen, die in drei Teile gegliedert sind. Der erste ist ein Trauermarsch, der von einer Solotrompete verkündet wird. Ein gigantisches Scherzo bildet den Mittelpunkt der Symphonie, während das Finale ein Rondo von hemmungsloser Freude ist.

5Rückert-Lieder

Mahler komponierte sein ganzes Leben lang Lieder. Seine Vertonungen von Friedrich Rückert (1788-1866) sind etwas ganz Besonderes, da die melodischen Linien des Komponisten die hyperromantischen Texte widerspiegeln. Blicke mir nicht in die Lieder warnt den Hörer davor, zu neugierig auf das künstlerische Schaffen zu sein: Beurteile nur das fertige Werk, nicht den Prozess. In Ich atmet' einen linden Duft! erfüllt ein Hauch von Linden den Raum mit dem Duft der Liebe. Um Mitternacht ist eine Reise der Seele. In Liebst du um Schönheit, einem Geschenk Mahlers an seine Frau Alma, geht es darum, dass man nicht um des Reichtums oder der körperlichen Schönheit willen lieben sollte, sondern allein um der Liebe willen. Das emotionale Herzstück der Reihe ist Ich bin der Welt abhanden gekommen, von dem Mahler einmal sagte: „Das bin wirklich ich”. Hier ist der Künstler eine einsame Figur, die sich von der Welt zurückzieht, eine Musik der friedlichen Resignation.

6Symphonie Nr. 4 G-Dur

Das himmlische Leben, die Vision eines Kindes vom Himmel, bildet das Finale von Mahlers sonniger Vierter Symphonie, der letzten seiner Wunderhorn-Symphonien. Es ist schlicht instrumentiert – ohne Posaunen und Tuba – und enthält einen Schlagzeugteil mit Glockenspiel und Schlittenglocken, wobei letztere gleich zu Beginn zu hören sind. Die Stimmung ist pastoral, mit einem frechen Scherzo, in dem eine höher gestimmte Violine einen rustikalen Fiedler suggeriert. Das Adagio ist ein sanft wiegendes Wiegenlied, das sich zu einem ekstatischen Höhepunkt steigert, wenn wir die Himmelspforte betreten, und zum Finale führt, in dem sich ein Kind ein sorgloses Leben mit gutem Essen – Spargel, Fisolen, Fisch und Wein – und Tanz vorstellt.

7Symphonie Nr. 6 a-Moll

Die Sechste ist die klassischste seiner Symphonien und trägt wegen ihrer schicksalhaften Hammerschläge im Finale manchmal den Beinamen „Tragische”. Laut Alma beschreibt der letzte Satz Mahler selbst und seinen Untergang. „,Der Held der drei Schicksalsschläge bekommt, von denen ihn der dritte fällt wie einen Baum’, waren seine Worte. Kein Werk ist ihm so unmittelbar aus dem Herzen geflossen.” Eine Vorhersage von Mahlers Schicksal? Innerhalb eines Jahres starb die vierjährige Tochter Maria, Mahlers tödliches Herzleiden wurde diagnostiziert, und er verließ seinen Posten an der Hofoper. Abgesehen vom pastoralen Andante ist die Sechste weitgehend düster, angstbesetzt und pessimistisch. Mahler änderte seine Meinung über die Reihenfolge der inneren Sätze und entfernte den prophetischen dritten Hammerschlag. Der Wiener Kritiker Heinrich Reinhardt bezeichnete die Symphonie als „Blech, viel Blech, unheimlich viel Blech! Noch mehr Blech, nichts als Blech!”

8Symphonie Nr. 1 D-Dur

Mahler schrieb „Wie ein Naturlaut” an den Anfang der Partitur seiner Ersten Symphonie, und die Natur durchdringt das ganze Werk: raschelndes Laub, Vogelgezwitscher, ländliches Treiben, der Klang einer Klezmer-Kapelle, Sommergewitter. Mahler zitiert aus seinen eigenen Liedern eines fahrenden Gesellen sowie aus einem Trauermarsch, der auf der Melodie des Frère Jacques basiert und mit einem Kontrabass-Solo beginnt.

9Das Lied von der Erde

Mit Das Lied von der Erde versuchte der sehr abergläubische Mahler, das Schicksal zu überlisten. Er komponierte es nach seiner mächtigen Achten (der „Symphonie der Tausend”) und hielt es für ein symphonisches Werk, weigerte sich aber, es als solches zu nummerieren, wegen des „Fluchs der Neunten” (Beethovens Neunte war seine letzte Symphonie, Bruckner starb vor der Vollendung seiner Neunten). Das Lied vertont sechs chinesische Gedichte, eine seltsame Mischung aus Trinkliedern, Resignation und Ironie.

Das Finale, Abschied, ist zutiefst bewegend, die Müdigkeit umarmt den Tod. In einem Brief an Bruno Walter schrieb Mahler: „Daß ich sterben muß, habe ich schon vorher auch gewußt. – Aber ohne daß ich Ihnen hier etwas zu erklären oder zu schildern versuche, wofür es vielleicht überhaupt keine Worte gibt, will ich Ihnen nur sagen, daß ich einfach mit einem Schlage alles an Klarheit und Beruhigung verloren habe, was ich mir je errungen.”

10Lieder eines fahrenden Gesellen

Mahlers früher Orchesterliederzyklus, Lieder eines fahrenden Gesellen, entstand während seiner Zeit als Dirigent am Kasseler Opernhaus. Sie basieren auf seinen eigenen Versen, obwohl sie stark von Des Knaben Wunderhorn beeinflusst sind, einer Sammlung von Volksdichtung, die Mahler später in einer eigenen Sammlung vertonte. Der Zyklus ist eine Geschichte über unerwiderte Liebe, die aus Schuberts Müller-Vertonungen bekannt ist. Zwei Lieder tauchten später in Mahlers Erster Symphonie auf.

“Die Symphonie muß sein wie die Welt. Sie muß alles umfassen”