Man sagt, dass Tod in Venedig, die letzte Oper von Benjamin Britten, das Werk ist, das die stärksten autobiographischen Züge besitzt. Um dieses Werk zu vollenden, hatte er eine Herzoperation herausgezögert. Auf der Grundlage der Thomas Mann-Novelle von 1911, die er „Tragödie einer Entwürdigung“ nannte, und die 1971 durch den Luchino Visconti-Film berühmt wurde, wurde die Oper 1973 im Rahmen des Aldeburgh Festivals uraufgeführt. Die Deutsche Oper Berlin zeigt sie jetzt in einer neuen Produktion von Graham Vick unter der Leitung von Donald Runnicles.
Stuart Nunns Einheitsbühnebild ist ein großer, grellgrüner Kastenbau. Darin dominiert ein überdimensionales Vintage-Photo von Thomas Mann mit Trauerflor, daneben ein ebenso überdimensionaler, verwelkter Blumenstrauß, der auch als Strandfelsen und Kanalbrücke dient. Schwarze Stühle sind entweder als Gondeln, Spielzeug oder sogar als Waffen eingesetzt. Die 17 Szenen der Oper fließen buchstäblich wie Ebbe und Flut am Lido di Venezia – die Sänger und Tänzer schweben von links nach rechts oder rechts nach links durch die acht Türen zu beiden Seiten. Manchmal schweben die Türen nur so, als würden sie von der Meeresbrise getrieben. Wolfgang Göbbel trägt das grelle Licht des venezianischen Lido oder das emotionale Chiaroscuro der Kanäle Venedigs bei.
Graham Vick zeigt uns eine elegante aber dekadente Gesellschaft, beobachtet aus der Perspektive des Gustav von Aschenbach. Als anerkannter Schriftsteller, der aber unter einer Schreibblockade leidet, besucht er Venedig und hofft auf Inspiration. Stattdessen verliebt er sich in den jungen Tadzio, Teenager und Sohn einer polnischen aritstokratischen Familie, die im gleichen Hotel absteigt. Tadzio, hier von Rauand Taleb gespielt, ist weder besonders schön noch sexy, aber Aschenbach erkennt seine eigene Jugend in ihm. Sowohl der junge Mann als auch seine Familie sind stumme Rollen in Brittens Werk und werden hier, ebenso wie viele der übrigen Figuren, von Solisten des Deutschen Opernballetts gepielt.
Der Abend gehört eindeutig Paul Nilon, dem lyrischen Tenor, der Gustav von Aschenbach mit einer ausdrucksstarken Natürlichkeit verkörpert und der die nötige Ausdauer besitzt, um für die gesamte Dauer dieser fast zweieinhalb Stunden langen Oper auf der Bühne zu sein. Während das Nilons Timbre nicht so zart ist wie das von Peter Pears, für den die Oper ursprünglich geschrieben wurde, ist es die Intensität seiner Interpretation, die der intimen Atmosphäre des Werkes so gut entspricht.