Ich lade Sie herzlich ein, ein Ticket nach Berlin zu buchen und drei Stunden in einer anderen Welt zu verbringen, fasziniert bei den emotionalen Turbulenzen und Träumen eines Fremden, lebhaft porträtiert und wunderschön gesungen von Rolando Villazón. Bohuslav Martinůs selten gespielte Julietta ist ein voller Erfolg an der Berliner Staatsoper im Schiller Theater. Ein kompliziertes Puzzle? Ein Garten Eden? Sirenengesang? Die surrealistische Traumoper ist all das.
Sie ist ein frühes Werk, komponiert, als Martinů in Paris lebte. Mit vielen Verweisen auf Strawinsky ist die Oper dennoch in ihrer Tonalität französisch und in ihrem Pathos durch und durch tschechisch. Es gibt darin nur Unsicherheit: Wo ist er? War diese Figur zuvor nicht jemand anderes? Was wird geschehen? Erinnern wir uns oder vergessen wir, und was davon wäre besser?
Blickt man zurück auf die Ereignisse in der Zeit der Komposition und der Premiere der Oper scheint etwas Mehrdeutigkeit recht passend. Obwohl verheiratet, hatte Martinů erst kurz davor eine Geliebte verloren und würde wegen seiner Rolle im tschechischen Widerstand schon bald auf der schwarzen Liste der Nazis landen. Österreich war gerade erst von Deutschland annektiert worden. Pathos, Angst und Surrealismus waren Themen des Tages. Martinů selbst deutete an, dass das Werk ein verlängerter Versuch war, das Unverständliche zu verstehen; eine Erinnerung, ein Gedanke, ein Geruch, der sich verflüchtigt, als man ihn festzuhalten oder zu definieren sucht. In einem Brief an seinen Freund, den Autor George Neveux, gestand Martinů 1936, dass er kürzlich Neveuxs Schauspiel Juliette, ou La Clé des songes gelesen und, ohne wirklich zu wissen wie, schon den ersten Akt komponiert habe; Neveux möge ihm nicht böse sein. Kurt Weill hatte ebenfalls Interesse an dem Stück bekundet – welch ein Glück, dass Martinů seine Komposition fortsetzen durfte!
Claus Guths Inszenierung, mit surrealistischem Bühnenbild von Alfred Peter, unterstützt die Oper wunderbar. Enorme hängende Blätter und schlangengleiche Ranken fallen und heben sich wie die Schlinge, die Michel wiederholt bedroht. Ein puzzlegleicher Raum mit mehreren Türen und keinem wirklichen Ausgang ist das Zeug, aus dem Alpträume gemacht sind. Olaf Freeses Beleuchtung ist kraftvoll; scharfe Lichtkanten schneiden in dunklen Hintergrund und Nebel, ein faszinierendes Spiel der Schatten, die mit Hinweisen auf die Handlung helfen, und vielerlei Weißschattierungen.