Weder Oper noch Konzertstück ist Nonos Prometeo aus den Jahren 1985/86 genau die Art musikalische „Erfahrung“, die wie gemacht ist für eine Festivalaufführung. Es ist mehr Drama für die Ohren als für die Augen (Nono benennt das Werk im Untertitel eine Tragödie des Hörens“ und besitzt keine Handlung, keine wirkliche Narrative, und bedarf eines großen, flexiblen Raumes, um die Vielzahl an Vokal- und Instrumentalgruppen sowie Live Electronics aufzunehmen – die ultimative Surround Sound-Veranstaltung. Prometeo wurde in einer der großen Kirchen Venedigs aufgeführt und zusammen mit einem architektonischen Plan für neuartige Aufführungsorte in Form einer umgekehrten „Arche“ konzipiert, und es schien ein geschickter Kniff der Ruhr Triennale, es neben Vorstellungen von Monteverdis Orfeo (dessen Komponist im Markusdom ähnliche antiphonen Experimente durchführte) und Wagners Rheingold zu zeigen, das selbst für ein eigens dafür erbautes Theater entstand.
Die Triennale ist nicht, wie der Name vermuten lässt, ein Festival, das alle drei Jahre stattfindet, sondern eines, das in dreijährigen Zyklen verläuft. Sie wurde 2002 von Gerard Mortier gegründet, steht jetzt unter der Intendanz von Johan Simons, und nutzt den industriellen Hintergrund des Ruhrgebiets, um Werke auf die Bühne zu bringen, die entweder schlicht und einfach nicht in konventionelle Säle gepresst werden können, oder die von mehr Raum und Durchlässigkeit eines Veranstaltungsortes profitieren. Das gilt sicherlich für Prometeo, und ein ehemaliges Kraftwerk in einem neu gestalteten, postindustriellen Landschaftspark in Duisburg erwies sich als ideal dafür.
Es mag Musiktheater ohne die Bühnenhandlung sein, doch das Drama begann bereits ein halbe Stunde, bevor die Vorstellung begann, als die Zuhörer grüppchenweise eingeladen wurden, einem grellen Licht durch Dichten Nebel durch die lange Turbinenhalle zu folgen. Als wir durch eine doppeltürige Luftschleuse in den riesigen Vorstellungsraum traten, sahen wir uns einem eigens errichteten Labyrinth von Sitzplätzen gegenüber, in dem wir unsere Plätze frei wählen und auf den Beginn warten konnten. Zwei Dirigenten, Ingo Metzmacher und Matilda Hofman, saßen bereit, um die Musik von zehn verschiedenen Bühnen voller Musiker in verschiedenen Höhen zu den vier Seiten der Halle ins Feld zu schicken: vier dreizehnköpfige Instrumentalensembles, eine weiter Gruppe Instrumentalsolisten, Glasglockenspieler, Sprecher, Sänger, und ein zwölf Mann starker Chor.
Nonos Behandlung der Prometheus-Geschichte ist beinahe absichtlich obskurant: er behandelt die Texte aus Dichtung und anderen Quellen, in einer Mischung aus Italienisch, Altgriechisch und Deutsch, als Silben anstatt Worten, sodass verschiedene Stimmen im Chor die Komponenten eines ganzen Wortes übereinander singen konnten. Ohne eine Angabe der neun Sätze des Werkes oder deutlichen Pausen der Interpreten zwischen den Sätzen war man als Zuhörer ganz dem Aufnehmen dieser zwei Stunden und zwanzig Minuten von praktisch ununterbrochener Musik einzig mit unseren Ohren und Augen. Mit anderen Worten, es war einfacher, die Musik als abstrakten Ausdruck zu verstehen, als zu versuchen, eine Bedeutung auszumachen, von der man ohnehin das Gefühl hat, dass die nur der Komponist kennt.