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Feuer von den Göttern: Nonos Prometeo in Duisburg

Von , 12 September 2015

Weder Oper noch Konzertstück ist Nonos Prometeo aus den Jahren 1985/86 genau die Art musikalische „Erfahrung“, die wie gemacht ist für eine Festivalaufführung. Es ist mehr Drama für die Ohren als für die Augen (Nono benennt das Werk im Untertitel eine Tragödie des Hörens“ und besitzt keine Handlung, keine wirkliche Narrative, und bedarf eines großen, flexiblen Raumes, um die Vielzahl an Vokal- und Instrumentalgruppen sowie Live Electronics aufzunehmen – die ultimative Surround Sound-Veranstaltung. Prometeo wurde in einer der großen Kirchen Venedigs aufgeführt und zusammen mit einem architektonischen Plan für neuartige Aufführungsorte in Form einer umgekehrten „Arche“ konzipiert, und es schien ein geschickter Kniff der Ruhr Triennale, es neben Vorstellungen von Monteverdis Orfeo (dessen Komponist im Markusdom ähnliche antiphonen Experimente durchführte) und Wagners Rheingold zu zeigen, das selbst für ein eigens dafür erbautes Theater entstand.

Die Triennale ist nicht, wie der Name vermuten lässt, ein Festival, das alle drei Jahre stattfindet, sondern eines, das in dreijährigen Zyklen verläuft. Sie wurde 2002 von Gerard Mortier gegründet, steht jetzt unter der Intendanz von Johan Simons, und nutzt den industriellen Hintergrund des Ruhrgebiets, um Werke auf die Bühne zu bringen, die entweder schlicht und einfach nicht in konventionelle Säle gepresst werden können, oder die von mehr Raum und Durchlässigkeit eines Veranstaltungsortes profitieren. Das gilt sicherlich für Prometeo, und ein ehemaliges Kraftwerk in einem neu gestalteten, postindustriellen Landschaftspark in Duisburg erwies sich als ideal dafür.

Es mag Musiktheater ohne die Bühnenhandlung sein, doch das Drama begann bereits ein halbe Stunde, bevor die Vorstellung begann, als die Zuhörer grüppchenweise eingeladen wurden, einem grellen Licht durch Dichten Nebel durch die lange Turbinenhalle zu folgen. Als wir durch eine doppeltürige Luftschleuse in den riesigen Vorstellungsraum traten, sahen wir uns einem eigens errichteten Labyrinth von Sitzplätzen gegenüber, in dem wir unsere Plätze frei wählen und auf den Beginn warten konnten. Zwei Dirigenten, Ingo Metzmacher und Matilda Hofman, saßen bereit, um die Musik von zehn verschiedenen Bühnen voller Musiker in verschiedenen Höhen zu den vier Seiten der Halle ins Feld zu schicken: vier dreizehnköpfige Instrumentalensembles, eine weiter Gruppe Instrumentalsolisten, Glasglockenspieler, Sprecher, Sänger, und ein zwölf Mann starker Chor.

Nonos Behandlung der Prometheus-Geschichte ist beinahe absichtlich obskurant: er behandelt die Texte aus Dichtung und anderen Quellen, in einer Mischung aus Italienisch, Altgriechisch und Deutsch, als Silben anstatt Worten, sodass verschiedene Stimmen im Chor die Komponenten eines ganzen Wortes übereinander singen konnten. Ohne eine Angabe der neun Sätze des Werkes oder deutlichen Pausen der Interpreten zwischen den Sätzen war man als Zuhörer ganz dem Aufnehmen dieser zwei Stunden und zwanzig Minuten von praktisch ununterbrochener Musik einzig mit unseren Ohren und Augen. Mit anderen Worten, es war einfacher, die Musik als abstrakten Ausdruck zu verstehen, als zu versuchen, eine Bedeutung auszumachen, von der man ohnehin das Gefühl hat, dass die nur der Komponist kennt.

Nono setzt seine extravagante Besetzung oft sparsam ein, und trotz der Passagen voll raumgreifenden Tumults, die das Werk durchsetzen, ist das dominierende Gefühl eines von stiller Schönheit, und nirgends stärker als im feierlichen Kern des Werkes, in dem eine Altstimme solistisch mit einer handvoll Instrumentalisten kommuniziert, als sie einige gehaltener Töne erkunden. Dann wieder übersäte die Schola Heidelberg das Stück mit ihrem reinstimmigen Quint- und Tritonusmotiv, Vokalsolisten erhoben sich in die Stratosphäre ihrer Stimmlagen, Instrumentalisten des Ensemble Modern erforschten die Extreme ihrer Instrumente in Lautstärke und Tonumfang, und drei Musiker ließen ihre hängenden Glasglocken klingen, als die elektronischen Zutaten des SWR Experimentalstudio kombinierte, trennte, und die gemischten Klänge durch den ganzen, höhlenartigen Raum wirbeln ließ. Es war sicherlich ein Marathon, für die Musiker wie das Publikum. Obwohl wir zumindest Sitzkissen in unseren Labyrinthbänken hatten, waren diese Sitzgelegenheiten nicht auf Gemütlichkeit ausgerichtet, und zum Ende hin entwickelte sich ein stetes Rinnsal derer, die den Saal verließen. Doch der Enthusiasmus und die Hingabe aller Musiker war greifbar und ließ ihre Präsenz spüren durch offensichtliche schiere Kunstfertigkeit und expressives Engagement.

Der Raumklang wurde unterstützt von subtil wechselndem, monumentalem Lichtdesign, das die volle Länge der Halle nutzte, auch über das Gerüst und die Plastikplanen, die den Vorstellungsraum vom dahinterliegenden Nebel abgrenzten. Es war durchaus eine vierdimensionale Erfahrung, eine, die im Laufe der Vorstellung zunehmend die Kontrolle über das Sein des Hörers übernimmt. Und man erlebt definitiv ein anderes Konzept von verstreichender Zeit – vielleicht zu langsam für manchen, doch für den Großteil des Publikums, das dabei blieb und am Ende in tosenden Applaus ausbrach (ein reiferes Klientel als das, das man üblicherweise bei Avantgarde-Veranstaltungen in Großbritannien sieht), war das ein faszinierender, unvergesslicher Abend, ein Abend, der einem noch lange in Erinnerung bleiben wird.

 

Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.

*****
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“eine vierdimensionale Erfahrung, eine, die im die Kontrolle über das Sein des Hörers übernimmt”
Rezensierte Veranstaltung: Landschaftspark-Nord: Gebläsehalle, Duisburg, am 11 September 2015
Nono, Prometeo
Ingo Metzmacher, Musikalische Leitung
Eva Veronica Born, Bühnenbild
Susanna Andersson, Sopran
Els Janssens-Vanmunster, Sopran
Christina Daletska, Mezzosopran
Noa Frenkel, Mezzosopran
Markus Francke, Tenor
Caroline Chaniolleau, Sänger
Mathias Jung, Schauspiel
Ensemble Modern
Schola Heidelberg
Experimentalstudio des SWR
Rainer Casper, Licht
Walter Nussbaum, Chorleitung
Matilda Hofman, Musikalische Leitung
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