Nicht überall ist Oper drin, wo Oper drauf steht. Eine Beobachtung, die bei den jüngsten Salzburger Festspielen gleich zwei Mal, kurz aufeinander folgend, mit Erstaunen zu machen war. Bereits One morning turns into an eternity, fließender Übergang zwischen Schönberg-Bühnenwerk und Mahler-Orchesterlied, firmierte im Segment Oper. In gleicher Liga spielte auch Zaide oder Der Weg des Lichts, für die als Autoren Wolfgang Amadeus Mozart und Wajdi Mouawad (*1968) genannt wurden. Man sollte Raphaël Pichon hinzuzählen, der wohl die treibende und verschmelzende Kraft für diese Produktion war, deren Entstehungsgeschichte alles andere als leicht durchschaubar ist.
1785 hatte die Wiener Tonkünstlersozietät, eine Rentenkasse für Hinterbliebene von Musikern, bei Mozart die Komposition eines orchesterbegleitenden Chorwerks beauftragt. Dieser, auch von weiteren Aufträgen getrieben, entschied sich für ein italienischsprachiges Oratorium Davide penitente, in dem er Kyrie und Gloria seiner um 1783, der Zeit der Arbeit an Entführung aus dem Serail und Idomeneo, aufgeschriebenen und noch unvollendeten c-Moll-Messe wiederverwendete und um zwei Arien bereicherte. Bis heute fristen beide, selbst die höchst anspruchsvolle c-Moll-Messe, auf Konzertbühnen nur ein Schattendasein.
Mozart hatte sich in dieser Zeit bereits vom Geist der Aufklärung sowie den philosophischen und ästhetischen Strömungen durchdringen lassen, die Europa gerade bewegten. Sein Singspiel Zaide sollte den Beginn dieser neuen Ästhetik bilden, die sich jedem Zugeständnis an den galanten Geschmack verweigerte und stattdessen die Wahrheit der menschlichen Seele ergründete. Jedoch ging in der Überlieferung der Oper das Textbuch verloren, so dass heute der nicht-musikalische, aber dramatische Anteil der gesprochenen Dialoge fehlt. Erst um 1838 wird in einer Neuausgabe der Zaide ein gefangenes, abendländisches Liebespaar beschrieben, das vom aufgeklärten Sultan die Freiheit geschenkt bekommt, noch auf der Linie der damals hochgeschätzten Turquerien des Rokoko.
Der französische Orchesterleiter Raphaël Pichon und der in Libanon geborene, kanadische Dramatiker und Theaterleiter Wajdi Mouawad haben ein für heute zeitgemäßes Textbuch verfasst, das im Stile eines Melodrams – gesprochener Text im Dialog mit Chor und Orchester – in einfachen Zügen eine Zaide für unsere Zeit erzählt, in der neben originalen Zaide-Fragmenten diverse Monologe, Chorsätze und Arien Mozarts zum stimmigen Pasticcio zusammengebunden werden. Anfang und Ende bildet das ätherisch fragile Spiel einer Glasharmonika mit Mozarts Adagio KV356. Bertrand Couderc fand überzeugende Bilder für Bühne, Kostüme und Licht.
Persada, eine junge Frau, die ihre Mutter Zaide nie kennengelernt hatte, besucht die Überreste eines ehemaligen Gefängnisses im Morgenland. Dort begegnet sie Allazim, dem Wächter dieses Erinnerungsortes. „Die Frau, die singt“ ist ihr einziger Hinweis auf Zaide. Allazim sucht in seinen Erinnerungen: Zaide hatte als politische Gefangene aufrecht gegen den Sultan Soliman gearbeitet, für die anderen Gefangenen eine Hoffnung, ein Rettungsanker. Zaide liebt Gomatz, Gefangener ebenso. Als Zaide schwanger wird, ist auch Allazim erschüttert, will den Gefangenen bei der Flucht beistehen. Doch der Fluchtversuch misslingt, widrige Winde treiben das Boot zurück. Soliman, der Rache geschworen hatte, lässt sich durch den aufrechten Allazim besänftigen und gibt das Kind Persada frei, das nicht für Taten der Eltern bezahlen soll.