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Zwischen Rache und Vergebung: Zaide oder der Weg des Lichts bei den Salzburger Festspielen

Von , 21 August 2025

Nicht überall ist Oper drin, wo Oper drauf steht. Eine Beobachtung, die bei den jüngsten Salzburger Festspielen gleich zwei Mal, kurz aufeinander folgend, mit Erstaunen zu machen war. Bereits One morning turns into an eternity, fließender Übergang zwischen Schönberg-Bühnenwerk und Mahler-Orchesterlied, firmierte im Segment Oper. In gleicher Liga spielte auch Zaide oder Der Weg des Lichts, für die als Autoren Wolfgang Amadeus Mozart und Wajdi Mouawad (*1968) genannt wurden. Man sollte Raphaël Pichon hinzuzählen, der wohl die treibende und verschmelzende Kraft für diese Produktion war, deren Entstehungsgeschichte alles andere als leicht durchschaubar ist.

Lea Desandre (Persada)
© Salzburger Festspiele | Marco Borrelli

1785 hatte die Wiener Tonkünstlersozietät, eine Rentenkasse für Hinterbliebene von Musikern, bei Mozart die Komposition eines orchesterbegleitenden Chorwerks beauftragt. Dieser, auch von weiteren Aufträgen getrieben, entschied sich für ein italienischsprachiges Oratorium Davide penitente, in dem er Kyrie und Gloria seiner um 1783, der Zeit der Arbeit an Entführung aus dem Serail und Idomeneo, aufgeschriebenen und noch unvollendeten c-Moll-Messe wiederverwendete und um zwei Arien bereicherte. Bis heute fristen beide, selbst die höchst anspruchsvolle c-Moll-Messe, auf Konzertbühnen nur ein Schattendasein.

Mozart hatte sich in dieser Zeit bereits vom Geist der Aufklärung sowie den philosophischen und ästhetischen Strömungen durchdringen lassen, die Europa gerade bewegten. Sein Singspiel Zaide sollte den Beginn dieser neuen Ästhetik bilden, die sich jedem Zugeständnis an den galanten Geschmack verweigerte und stattdessen die Wahrheit der menschlichen Seele ergründete. Jedoch ging in der Überlieferung der Oper das Textbuch verloren, so dass heute der nicht-musikalische, aber dramatische Anteil der gesprochenen Dialoge fehlt. Erst um 1838 wird in einer Neuausgabe der Zaide ein gefangenes, abendländisches Liebespaar beschrieben, das vom aufgeklärten Sultan die Freiheit geschenkt bekommt, noch auf der Linie der damals hochgeschätzten Turquerien des Rokoko.

Sabine Devieilhe (Zaide) und Julian Prégardien (Gomatz)
© Salzburger Festspiele | Marco Borrelli

Der französische Orchesterleiter Raphaël Pichon und der in Libanon geborene, kanadische Dramatiker und Theaterleiter Wajdi Mouawad haben ein für heute zeitgemäßes Textbuch verfasst, das im Stile eines Melodrams – gesprochener Text im Dialog mit Chor und Orchester – in einfachen Zügen eine Zaide für unsere Zeit erzählt, in der neben originalen Zaide-Fragmenten diverse Monologe, Chorsätze und Arien Mozarts zum stimmigen Pasticcio zusammengebunden werden. Anfang und Ende bildet das ätherisch fragile Spiel einer Glasharmonika mit Mozarts Adagio KV356. Bertrand Couderc fand überzeugende Bilder für Bühne, Kostüme und Licht.

Persada, eine junge Frau, die ihre Mutter Zaide nie kennengelernt hatte, besucht die Überreste eines ehemaligen Gefängnisses im Morgenland. Dort begegnet sie Allazim, dem Wächter dieses Erinnerungsortes. „Die Frau, die singt“ ist ihr einziger Hinweis auf Zaide. Allazim sucht in seinen Erinnerungen: Zaide hatte als politische Gefangene aufrecht gegen den Sultan Soliman gearbeitet, für die anderen Gefangenen eine Hoffnung, ein Rettungsanker. Zaide liebt Gomatz, Gefangener ebenso. Als Zaide schwanger wird, ist auch Allazim erschüttert, will den Gefangenen bei der Flucht beistehen. Doch der Fluchtversuch misslingt, widrige Winde treiben das Boot zurück. Soliman, der Rache geschworen hatte, lässt sich durch den aufrechten Allazim besänftigen und gibt das Kind Persada frei, das nicht für Taten der Eltern bezahlen soll.

Raphaël Pichon
© Salzburger Festspiele | Marco Borrelli

Die leergeräumte Felsenreitschule erweist sich als idealer Ort für das konzentrierte Geschehen; einige der Wandöffnungen nehmen kurzzeitig Handlung auf. „Semiszenisch“ könnte man das Bühnenstück schon deshalb nennen, weil die linke Bühnenhälfte von Pichons etwa 30-köpfigem Orchester Pygmalion gefüllt wird; sein Pygmalion Chor, ebenfalls etwa 30 Stimmen stark, agiert spielerisch in einfachen, aber überaus akzentreichen Rochaden auf der rechten Seite. Klanglich präsentierten beide, zwischen muskulös bestimmenden, aufgerauten Forte-Stellen und bis an die Hörgrenze gedimmten Pianissimi, delikaten kammermusikalischen sowie überaus atemberaubenden Tuttiklang, der als maßstäblich für die gegenwärtige Barock- und Klassikszene gelten darf. Pichon, hellwach und sehnig eingreifender Koordinator, kann man guten Gewissens zu den Shooting Stars der jungen Dirigentengeneration in Sachen Alter Musik zählen, nach vorausschreitenden Koryphäen wie Nikolaus Harnoncourt und John Eliot Gardiner.

Sabine Devieilhe (Zaide) und Julian Prégardien (Gomatz)
© Salzburger Festspiele | Marco Borrelli

Mit unaufdringlicher Größe gestaltete Johannes Martin Kränzle den weisen Allazim, der, mit Persada in bruchstückhafter Erinnerung suchend, auch die Hörer als Erzähler ins Geschehen holte. Kränzle, von einer aggressiv fortschreitenden Form einer Knochenmarks-Erkrankung betroffen, musste Anfang des Jahres als Sänger wiederum pausieren. So empfand man es als Glücksmoment, den großartigen Bariton gefestigt und lebhaft erneut auf der Bühne erleben zu dürfen.

Mit geschmeidig tenoralem Wohlklang erfreute Daniel Behle, der anfangs den finster herrschenden Potentaten Soliman verkörperte: wie sehr er Recht und Mitmenschlichkeit mit Füßen trat, konnte man erschreckt beim Absturz der Glasharmonika aus einem Fensterbogen leibhaft erleben. Dass Würde auch innere Größe ausmachen kann, nahm man seiner Wandlung im Umgang mit dem Neugeborenen ab. Julian Prégardien brachte mit klangschön hellem Tenor Lebenswunsch wie Todesbereitschaft des Gomatz in edlen Gesang.

Daniel Behle (Soliman) und Johannes Martin Kränzle (Allazim)
© Salzburger Festspiele | Marco Borrelli

Mädchenhaft unbekümmert, doch auf der Suche insistierend und schließlich erfüllt im Vis-à-vis zur eigenen Persönlichkeit als Kleinkind gefiel Lea Desandre im berührenden Spiel durch ihr reich ausgeschmücktes Timbre, das zwischen heller Strahlkraft und dunkler Dichte dramatisch anzog. „Die Frau, die singt“: himmlisch muss man Sabine Devieilhes gestalterische Durchdringung der Zaide einfach nennen, ein Goldschatz stimmlicher Facetten, verblüffend bis in Lektionen von klanggesättigtem Subpianissimo, in denen man nicht mehr zu atmen wagte.

Eine kunstvolle Zusammenstellung, bedeutungsschweres Gesamtkunstwerk mit finaler Vergebung als Happy End, das die vollbesetzte Felsenreitschule zu aufkochendem Applaus erhitzte. Fünf Sterne, keine Frage!

*****
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“Sabine Devieilhe... ein Goldschatz stimmlicher Facetten”
Rezensierte Veranstaltung: Felsenreitschule, Salzburg, am 19 August 2025
Programm beinhaltet:
Mozart, Zaide, K344 (K336b): excerpts
Mozart, Davide penitente, KV469
Mozart, Thamos, König in Ägypten
Bertrand Couderc, Licht
Eddy Garaudel, Dramaturgie
Raphaël Pichon, Musikalische Leitung
Sabine Devieilhe, Sopran
Lea Desandre, Mezzosopran
Julian Prégardien, Tenor
Daniel Behle, Tenor
Johannes Martin Kränzle, Bariton
Ensemble Pygmalion
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