Die Salzburger Festspiele haben seit 1922 über 20 Produktionen von Le nozze di Figaro gesehen, in denen Regisseure wie Walter Felsenstein, Günter Rennert, Michael Hampe oder Jean-Pierre Ponelle ihre denkwürdigen Interpretationen von Mozarts Meisterwerk präsentierten. Sven-Eric Bechtolfs jüngste Exegese kann gegenüber diesen legendären Produktionen mit Leichtigkeit bestehen, besonders aufgrund dem visuell unterhaltsamen Bühnenbild von Alex Eales.
Graf Almavivas Palazzo Aguas-Frescas wird zu einer Kreuzung zwischen Downton Abbey der Unterschicht und Königin Marys Puppenhaus transformiert. Auf verschiedene Ebenen verteilte Handlung im ersten und zweiten Akt bieten die Gelegenheit, in zahlreiche Räume hineinzusehen und, wichtiger noch, zu beobachten, was die anderen Figuren tun – und die führen gewöhnlich nichts Gutes im Schilde. Durchs Schlüsselloch schauen, permanentes Lauschen, heimliches Herumschnüffeln und Durchwühlen fremden Eigentums ist im Hause Almaviva an der Tagesordnung. Es gibt viel unerhebliches Drumherum, das sehr unterhaltsam ist, aber auch ablenken kann. Bis zum vierten Akt kann sich nur das „Dove sono“ der Gräfin externer, überflüssiger Handlung entziehen. Das „Hai già vinta la causa!“-Rezitativ des Grafen wurde in seinem Weinkeller gesungen, zeigte gleichzeitig aber auch einige Bedienstete, die im Dienstbotenraum darüber zu Mittag aßen. Es war unklar, was „Vedrò, mentr'io sospiro, felice un servo mio!“ mit der Mittagsmahlzeit zu tun hat, wenn der Graf nicht Gordon Ramsay angeheuert hat, um die Verpflegung der Dienstboten zuzubereiten.
Szene und Kostüme waren eindeutig postedwardianisch und hätten überall zwischen Sussex und Rutland angesiedelt werden können. Wo die Produktion definitiv nicht angesiedelt war ist Spanien. Das bedeutete einige textliche Inkongruenzen wie die amüsante Idee in Bartolos „La vendetta“-Arie. Während des Anfalls des guten Doktors befindet sich der Graf in seinem darunterliegenden Ankleidezimmer, liest eine Zeitung mit Bartolos Visage auf der Titelseite und rechtfertigt so „Tutta Siviglia conosce Bartolo“. Das wäre in Ordnung, wenn die Zeitung El País oder sogar die Times wäre, doch verwirrenderweise war es Il Corriere della sera. Andererseits sah man ausgezeichnete Klarheit der Handlung im oft verwirrenden, Feydeauesken Finale, das in einem etwas schäbigen Wintergarten stattfand.
Es war eine äußerst beeindruckende Ensembleleistung, auf die Walter Felsenstein stolz gewesen wäre. Einige der kleineren Rollen waren brillant gespielt. Ann Murray war eine absolut herausragende Marcellina, besonders im letzten Akt, in dem die Figur ziemlich beschwipst ist, weil sie sich an der „ricca pompa“ des Grafen reichlich bedient hat. Perfekt platzierter Schluckauf im Rezitativ „Presto, avvertiam Susanna“ war urkomisch. Unter diesen Umständen war es bedauerlich, dass Marcellinas „Il capro e la capretta“ ausgelassen wurde.
Christina Ganschs Barbarina war viel eigensinniger und jungenhafter als gewöhnlich. Als sie in Akt III mit „Eccellenza, voi mi dire sì spesso“ Cherubino die Haut rettet, wusste sie sehr wohl, wie sie ihr „kleines Kätzchen“ manipulieren konnte. Die kurze Cavatina „L'ho perduta“, die den vierten Akt eröffnet, war wunderschön gesungen. Gansch ist eine junge Sopranistin mit einer großen Zukunft. Don Basilio wurde von dem österreichischen Tenor Paul Schweinester kompetent gesungen, obwohl die Darstellung als hinterlistiger, leicht hysterischer Thomas Barrow gelinde gesagt originell war. Margarita Gritskova gab einen charmanten und überzeugenden Cherubino. Sie ist eine Sängerin mit beträchtlichem Können, doch zu diesem Zeitpunkt möglicherweise noch immer eine „Stimme in Arbeit“.