Für den Titel der „unwahrscheinlichsten Opernhandlung“ gibt es viele Kandidaten, aber Il trovatore steht auf dieser Liste ganz oben. Azucena ermordet aus Versehen ihr eigenes Kind, Manrico wird durch Zufall der romantische Rivale seines Bruders, Leonora ist nicht fähig, den Unterschied zwischen ihrem Geliebten und dem intrigierenden Grafen zu erkennen – und das sind nur ein paar der Absurditäten der Oper. Il trovatore ist trotz dieser Schwachstellen der Handlung ein zentrales Werk des Repertoires, dank Verdis hinreißender Musik.
Die aktuelle Produktion der Bayerischen Staatsoper verdankt ihren Erfolg ebenfalls der Musik. Nicht, dass die Inszenierung schlecht wäre, im Gegenteil. Oliver Py hat die Mäkel der Oper weise erkannt, bewegt sich an ihnen entlang und trifft überraschende Entscheidungen, die letztlich durch den Text gerechtfertigt sind. Leonoras Blindheit erschreckt zunächst, doch so ergibt es Sinn, dass sie den Grafen und Manrico im ersten Akt nicht voneinander unterscheiden kann. Gleichermaßen ist Manricos merkwürdig kindisches Benehmen und seine komplizierte Beziehung zu Azucena (sie küssen sich auf den Mund, aber sie versucht auch, in zu fesseln, und im vierten Akt erwürgt er sie beinahe) wohl eine Reflexion ihrer eigenen, gemischten Gefühle für ihn, da er sowohl ihr Ziehkind als auch der Sohn des Mörders ihrer Mutter ist.
Pierre-Andre Weitz' Bühnenbild und Kostüme sind modisch, mit einem Hauch von Steampunk. Azucena trägt Zylinder und Petticoat, Manrico trägt eingangs eine bizarre, glitzernde, diamant-gemusterte Weste. Zahnräder drehen sich schnell an den Bühnenrändern, und eine Lokomotive hat ihren großen Auftritt im berühmten Zigeunerchor. Priester in weißen Roben und spitzen Kapuzen erinnern das Publikum an den spanischen Handlungsort (obwohl amerikanische Zuschauer wahrscheinlich an den KKK denken). Von Nacktheit wird Gebrauch gemacht, aber sparsam – meist als Hinweis auf die Verletzlichkeit von Azucenas Mutter. Die dem Untergang geweihte Mutter tritt auf, um ihren Tod nachzustellen, als er erzählt wird, und um sich zu Azucena und Manrico zu gesellen, als sie ihren eigenen Tod erwarten. Ihre Präsenz ist eine effektive Möglichkeit sicherzustellen, dass das Publikum die wichtige Hintergrundgeschichte, die die Handlung vorantreibt, versteht und nicht vergisst, doch sie ist auch unnötig: alle Darsteller singen und spielen ausdrucksvoll genug, um diese Geschichte deutlich zu machen.
Anja Harteros führte als Leonora die Besetzung an, und sie war wunderbarer, als ich es beschreiben kann. Sie meisterte die Herausforderung einer blinden Leonora glaubhaft, ohne dabei die Blindheit zu Leonoras zentralem Charakterzug werden zu lassen (das wäre Entschlossenheit). Und erst Ihre Stimme! Müheloses Legato, gelegentliches Feuerwerk, expressive Phrasierung – Harteros hat all das. Obendrein gaben ihre Schönheit und Anmut ihrem Portrait einer jungen, allseits geliebten Heldin zusätzliche Glaubwürdigkeit. Dabei war Yonghoon Lee als Manrico ihr ein ebenbürtiger Partner. Man musste sich zwar ein wenig an seinen resonanten, leicht nasalen Tenor gewöhnen, aber er weiß genau, wie er ihn einzusetzen hat. Sein Klang war immer weich, und er vermittelte auch bei Spitzentönen den Eindruck, es wäre ganz einfach (sogar in „Di quella pira“). Lees geübtes – wenngleich gelegentlich überzeichnetes – Schauspiel gestaltete Manrico außerdem ungewöhnlich kompliziert, hin- und hergerissen zwischen keckem Mut und lähmender Unsicherheit.