In Teil zwei des Rings führt Wagner die ersten menschlichen Figuren ein, die Zwillinge Siegmund und Sieglinde, die außerdem die ersten wirklich sympathischen Charaktere des Dramas sind. Wo im Rheingold das Verlangen in der Form von Lust oder Gier zum Ausdruck kommt, bekommt man in der Walküre verschiedenste Darstellungen der Liebe, ob in romantischer (die inzestuöse Verbindung der Geschwister), mitfühlender (Brünnhilde für Siegmund und Sieglinde) oder familiärer (Wotan für Brünnhilde) Gestalt. Die Musik, die Wagner dazu verfasste, machte Die Walküre zum beliebtesten Teil seiner Tetralogie. Ob in Anerkennung des emotionalen Gehalts der ursprünglichen Erzählung oder aus anderen Gründen, Frank Castorf war hier weniger interventionistisch als im Rheingold. Seine Inszenierung erhielt überwiegend die Beziehungen zwischen den Figuren, riskierte so weniger und funktionierte runder.
Aleksandar Denić schuf ein weiteres, visuell ansprechendes und höchst detailliertes Bühnenbild, diesmal eine ganze Reihe Farmgebäude mit Scheunen, Silos und einem Turm. In folgenden Aufzügen wurde einiges der äußeren Holzverkleidung entfernt, sodass der Turm beispielsweise im dritten Aufzug eine Reihe offener Plattformen war. Im ersten Aufzug dreht sich alles darum, die Beziehung zwischen den Geschwistern zu entwickeln. Johan Botha ist eher für seine schmelzende Stimme als seine Schauspielkünste bekannt, doch bei dieser Vorstellung fing er etwas von Siegmunds Mischung aus Trotz und Zärtlichkeit ein, ohne dabei seine stimmliche Finesse zu verlieren. Den berühmten „Wälse“-Rufen fehlte es vielleicht etwas an Testosteron; sie waren mit Sicherheit weniger schwelgerisch ausgedehnt als es sonst oft getan wird. Vielleicht wurde Botha dabei davon inspiriert, wie Anja Kempe seine Bühnenschwester/-ehefrau spielte: sie war durchweg engagiert und erreichte einen Höhepunkt ihrer Exzellenz in ihrer kurzen Szene im dritten Aufzug. Die beiden passten in der Liebesszene stimmlich gut zueinander und zeigten beim Vorhang warme Wertschätzung für den jeweils anderen.
Die einzige andere Figur, die im ersten Akt zugegen ist, ist Hunding, hier gespielt von einem Zylinder und Frack tragenden Kwangchul Coun. Obwohl er nicht die schiere körperliche Größe eines Matti Salminen besitzt, war sein Auftritt deswegen denkwürdig, da er einen Kopf auf einem Speer herein trug, an dem er dann seinen Hut aufhängte. Sein stimmlicher Auftritt war gleichermaßen gebietend, doch in ruhigeren Momenten zeigte er auch, dass er zu mehr als nur schallender Lautstärke fähig war.
Während sich der erste Teil des ersten Aufzuges einzig auf die handelnden Personen stützte, kam auch projizierter Film wieder zum Einsatz, als Hunding seine letzte Drohung gegenüber Siegfried aussprach, wo die Kameras ersterem zu Bett folgten. Ausschnitte von Hunding, der sich in seinem Bett hin und her wälzte, machten später Platz für mysteriöses, historisches Industriematerial – der Anblick von Pravda in einem Bild verriet im Rückblick, dass diese Szenen sich in der frühen UdSSR zutrugen. Die schrillste Filmsequenz zeigte einen älteren Mann mit einem Bart ähnlich dem, wie ihn die Amish tragen, der (tonlos) am Telefon mit seiner Kuchen essenden Geliebten sprach, die ein Kleid anprobierte. Selbst wenn der zweite Aufzug den Mann als Wotan enthüllte, so war es doch eine unnötige Ablenkung während Siegmunds wundervollen „Winterstürme“-Solo.