Habe ich letzten Dezember eine Weihnachtskantate zur Vorstellung herausgegriffen und dazu bereits einige Beispiele für den üblich erwarteten Trompetenglanz angesprochen, beziehe ich mich mit der Auswahl diesmal auf den Advent. Und zwar auf den 1. Advent, für den im barocken Leipzig noch – mit etwas kleinerer Besetzung, so jetzt eben ohne Trompete, ich komme gleich darauf zurück – vor beginnender tempus clausum musiziert werden durfte, und der das Kirchenjahr eröffnet. Bachs Kantate Nun komm, der Heiden Heiland, BWV62, schließt daher kalendarisch nahtlos an das November-Beispiel an. Allerdings nicht streng aufbau- und geschichtskompositorisch durch eine Wiederverwertung einer Weimarer Kantate – das tat Bach mit seiner ersten 1714er-Version von Martin Luthers berüchtigtem Adventslied am 28. November 1723 –, sondern mit einer Neuproduktion im folgenden Leipziger Choralkantatenjahrgang, die der Thomaskantor am 3. Dezember 1724 ihrer Aufführungspremiere zuführte. Und für die ich zur Feier des protestantischen Kirchenjahrstarts gleich drei meiner favorisierten Hörbeispiele anbiete.
Gemeinsam mit BWV70 hat die Kantate aber ein schwungvoll-tänzerisches, aufgeweckt turbabeschwörendes, nun mit zwei Oboen ausgestattetes Ritornell (Concerto) zur Eröffnung, auf das die Vokalstimmen – der Sopran-Cantus firmus mit colla-parte-Horn verstärkt – ihren emphatischen Choralaufruf Luthers legen. Gemäß der Evangelienlesung nach Matthäus über den Einzug Jesu in Jerusalem strahlt dieses in fast typischem 6/4-Rhythmus Bachs, anders als sonst verwendete strengere französische Ouvertüre zur Untermalung des königlichen Einschreitens, die gemeindeperspektivistische Erwartung, Frohlockung und Textfeier aus. Wie dann zudem üblich für Bachs sechssätzige Kantaten, hat auch BWV62 – wie zuvor die Weimarer BWV61 – zwei Arien, die erste wieder für den Tenor, die zweite diesmal für den Bass anstelle des Soprans. Und ebenfalls bestechen sie so unüberraschend wie jedes Mal aufs Neue überraschend durch überwältigende Schönheit, Verarbeitung und Angesprochensein. Bei „Bewundert, o Menschen, dies große Geheimnis“ sprechen Instrumental- und Vokalstimmen in selig-trauter, durch 6/8-Siciliano gelöst-faszinierender Eintracht und doch schmeichelnder Umspielung beredte Bände über die Sehnlichkeit des Weihnachtswunders, das im intimeren Mittelteil zur „Keuschheit wird gar nicht beflecket“ von der Violine statt des Tuttis begleitet wird.