Viele winken beim Freischütz ab: altmodischer Aberglaube, passt nicht mehr in die Zeit. Regisseure haben es schwer, etwas Glaubwürdiges auf die Bühne zu stellen. Wenn dann die Oper zur spektakulären Konkurrenz des Gruselfilms wird, bleibt die Musik auf der Strecke. Wieviel mehr aber in Webers Komposition steckt, das bewies die rein konzertante Fassung, die unter der Leitung von Antonello Manacorda mit der Kammerakademie Potsdam, dem RIAS Kammerchor und einer auserlesenen Solistenschar nun auf ihrer kleinen Europatournee in Baden-Baden Station machte.
Wagner war schon als Kind vom Freischütz begeistert und Berlioz gar hingerissen ob des musikalisch dramatischen Potentials dieser Oper. Losgelöst von üppigen Kulissen, aber auch ohne die literarisch eher zweitklassigen Dialoge setzte Webers Musik gerade in dieser Interpretation ihre starke Wirkung frei.
Bereits von den ersten Takten der Ouvertüre an ließ sich erkennen, worauf es Manacorda ankam: auf einen schlanken Klang der vibratoarm spielenden Streicher, eine fast signalhafte Präsenz der Einzelinstrumente in solistischen Stellen, einen hohen Spannungslevel zwischen geheimnisvoll feinstem Pianissimo und triumphal strahlendem Jubel. Fein dosierte Molltrübungen ließen kommende Irritationen erahnen. Die ganze Bandbreite musikalischer Ausdrucksmittel hielt Manacorda bis zum Schluss durch, und der Freischütz wurde schier zu einem Wunder an dramatischer Klangfülle.
Gänsehautqualität erreichte die Wolfsschluchtszene. Musikmalerisch, fast impressionistisch, verschwammen die instrumentalen Farben zu fahlem Nebelgrau. Manacorda ließ die Harmonien – gleich flirrender Luft – im geheimnisvoll Ungefähren. Zwölf leise Glockentöne leiteten die Szene ein. Schneidend heulte der Geisterchor. Der Kugelsegen steigerte sich allmählich mit dem Gespensterchor in Hintergrund zum Kopfkino durch Musik. Da waren keine weiteren Zutaten nötig, hier wirkte die Musik aus sich selbst.
Darauf dann in kernigem molto vivace das Vorspiel zum dritten Akt: temperamentvoll vorpreschende Hörnerpracht – der Wald von der anderen Seite klanglich beleuchtet, Webers Romantik in ihrer Ambivalenz. Wie auch das Personal, das sich charakterlich nur vordergründig in Gut und Böse teilt. Der anstelle der Dialoge von Johanna Wokalek unpathetisch und wie gerade erdacht rezitierte Text von Steffen Kopetzki reflektierte die Problematik der Oper aus der Sicht des „schwarzen Jägers” Samiel. Sitzt das Böse nicht in uns selbst, fragt er; sind nicht Gefährdung, Ängste und Kampf Teile unseres eigenen Wesens?