Viele winken beim Freischütz ab: altmodischer Aberglaube, passt nicht mehr in die Zeit. Regisseure haben es schwer, etwas Glaubwürdiges auf die Bühne zu stellen. Wenn dann die Oper zur spektakulären Konkurrenz des Gruselfilms wird, bleibt die Musik auf der Strecke. Wieviel mehr aber in Webers Komposition steckt, das bewies die rein konzertante Fassung, die unter der Leitung von Antonello Manacorda mit der Kammerakademie Potsdam, dem RIAS Kammerchor und einer auserlesenen Solistenschar nun auf ihrer kleinen Europatournee in Baden-Baden Station machte.

Nikola Hillebrand (Ännchen) und Golda Schultz (Agathe) © Manolo Press | Michael Bode
Nikola Hillebrand (Ännchen) und Golda Schultz (Agathe)
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Wagner war schon als Kind vom Freischütz begeistert und Berlioz gar hingerissen ob des musikalisch dramatischen Potentials dieser Oper. Losgelöst von üppigen Kulissen, aber auch ohne die literarisch eher zweitklassigen Dialoge setzte Webers Musik gerade in dieser Interpretation ihre starke Wirkung frei.

Bereits von den ersten Takten der Ouvertüre an ließ sich erkennen, worauf es Manacorda ankam: auf einen schlanken Klang der vibratoarm spielenden Streicher, eine fast signalhafte Präsenz der Einzelinstrumente in solistischen Stellen, einen hohen Spannungslevel zwischen geheimnisvoll feinstem Pianissimo und triumphal strahlendem Jubel. Fein dosierte Molltrübungen ließen kommende Irritationen erahnen. Die ganze Bandbreite musikalischer Ausdrucksmittel hielt Manacorda bis zum Schluss durch, und der Freischütz wurde schier zu einem Wunder an dramatischer Klangfülle.

Gänsehautqualität erreichte die Wolfsschluchtszene. Musikmalerisch, fast impressionistisch, verschwammen die instrumentalen Farben zu fahlem Nebelgrau. Manacorda ließ die Harmonien – gleich flirrender Luft – im geheimnisvoll Ungefähren. Zwölf leise Glockentöne leiteten die Szene ein. Schneidend heulte der Geisterchor. Der Kugelsegen steigerte sich allmählich mit dem Gespensterchor in Hintergrund zum Kopfkino durch Musik. Da waren keine weiteren Zutaten nötig, hier wirkte die Musik aus sich selbst.

Darauf dann in kernigem molto vivace das Vorspiel zum dritten Akt: temperamentvoll vorpreschende Hörnerpracht – der Wald von der anderen Seite klanglich beleuchtet, Webers Romantik in ihrer Ambivalenz. Wie auch das Personal, das sich charakterlich nur vordergründig in Gut und Böse teilt. Der anstelle der Dialoge von Johanna Wokalek unpathetisch und wie gerade erdacht rezitierte Text von Steffen Kopetzki reflektierte die Problematik der Oper aus der Sicht des „schwarzen Jägers” Samiel. Sitzt das Böse nicht in uns selbst, fragt er; sind nicht Gefährdung, Ängste und Kampf Teile unseres eigenen Wesens?

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Der Freischütz
© Manolo Press | Michael Bode

So hörte man den Figuren mit anderen Ohren zu. Max, dem Jägerburschen etwa, den Charles Castronovo als zerrissenen Charakter zeigte – überzeugender freilich im dramatischen Impetus, in der lyrischen Linienführung der Arie leider etwas unstet und stellenweise gaumig im Ton mit abgedunkelten Vokalen. Im Terzett des dritten Akts war im Ausdruck wenig von Beruhigung für die verunsicherte Agathe zu spüren. Als Kaspar war Kyle Ketelsen sein mächtiger Gegenspieler. Ein wahrer Bösewicht im Netz der Hölle, in die er Max zu ziehen versucht. Sein Credo ist klar: Spielen, Saufen, Mädchen – verwegen pfiff im Trinklied dazu die Piccoloflöte.

Exzellent performten die beiden Protagonistinnen Agathe und Ännchen, stimmlich außerordentlich schön und kontrastreich im Ausdruck. Zu einem der Höhepunkte formte Golda Schultz die Szene und Arie der Agathe („Wie nahte mir der Schlummer”) in einem langen Moment inniger, fast entrückter lyrischer Stimmung. Behutsam breiteten die Streicher einen sanften Klangteppich aus, auf dem mit strahlender Höhe die Sängerin ihr Gebet entfalten konnte. Wunderbar gelang ihr der Stimmungswechsel: „All meine Pulse schlagen” – eine selige Vorfreude auf das Nahen des Geliebten, die wahrhaftig anrührte.

Ebenfalls außerordentlich ausdrucksstark Nikola Hillebrand in der Rolle ihrer Freundin Ännchen. Wo Agathe sich von ihrem Vorahnungen verunsichern lässt, bringt sie eine Portion Realismus hinein. Hillebrand würzte die Ariette vom „schlanken Burschen” mit einer gehörigen Prise Humor und die Romanze vom vermeintlichen Albtraum der Base mit viel Ironie.

Großartig präsentierte sich der RIAS Kammerchor flexibel in den sehr gegensätzlichen Situationen: als schauriger Geisterchor, munterer Jägerchor ohne das übliche Männergesangsvereinspathos, natürlich und volkstümlich als Brautjungfernchor und prachtvoll im triumphalen Finale.

Da gab Jongmin Park als Eremit mit der ganzen Autorität seines voluminösen Basses der Geschichte eine gute Wendung, die den Streit zwischen Gut und Böse entscheidet. Wie eng aber beide verflochten sind – das war eindrucksvoll in dieser Aufführung hörend zu erleben.

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