„Dopamine Decor“ ist ein Wohntrend, dessen Name suggeriert, dass er gute Laune machen soll. Gemeint sind etwa Sofas in Rot auf blauen Teppichen, dazu sonnengelbe Wände und Deko in Lila und Flaschengrün. Für seinen Barbiere an der Wiener Staatsoper verwendet Regisseur Herbert Fritsch diese und etliche andere Farben und nimmt den Minimalismus-Trend gleich dazu. Das Ergebnis ist ein möbel- und weitgehend requisitenfreies Bühnenbild aus bunten und transparenten Plastikvorhängen, die ständig in Bewegung sind – das sieht in etwa so aus, als ob man mit bunten Heftumschlägen Parallelverschiebungen üben würde.
Was das mit dem Barbier von Sevilla zu tun hat? Nun, das Konzept scheint „bunt ist gleich lustig“ (oder umgekehrt?) zu sein, und an diesem Abend geht es auf. Waren einige Zuschauer*innen der Premierenserie 2021 noch ob der Absetzung der klassischen Achtzigerjahre-Inszenierung eher auf Adrenalin denn auf Dopamin und Endorphinen, gewannen bei der besprochenen Vorstellung tatsächlich die Glückshormone die Oberhand, erlebte man eine buchstäblich rasante Komödie.
Das ist keine Kleinigkeit, schließlich wird dem großen Shakespeare-Darsteller Edmund Kean zugeschrieben, auf seinem Sterbebett (1833) die Worte „Sterben ist einfach, Komödie ist schwer“ gesagt zu haben. Letzteres gilt insbesondere für langgediente Komödien wie den über 200 Jahre alten Barbiere. Ein geliebtes Meisterwerk, keine Frage, doch wenn man es einem neuen Publikum erschließen will (das vielleicht nur einen sehr vagen Begriff davon hat, was ein Mündel war, und auch wenig mit vertauschten Briefen und Papieren anfangen kann), muss man neue Wege gehen. Herbert Fritsch hat das gut gelöst, denn der Papierkram entfällt zur Gänze: Es werden keine Briefe übergeben, stattdessen wird „abgeklatscht“, und das Mündel Rosina zur selbstbewussten Göre, die in kurzem schwarzem Spitzenkleid und hoch aufgetürmter blassrosa Perücke wie die moderne Goth-Version einer Barockdame aussieht (rockig-barockige Kostüme: Victoria Behr).
Mit Patricia Nolz hat man für Rosina auch die Idealbesetzung gefunden, denn sie ist einfach hinreißend. Jeder Ton Emotion, jede Geste ein Genuss, mehr kann man aus dieser Partie nicht herausholen. Dieses Zugpferd reißt auch die Bühnenkollegen mit, da wird auch der sonst nicht gerade Dopamin-gesteuerte Adam Plachetka als Figaro zum „Bühnentier“, und gestaltete alles auch abseits des berühmten „Largo al factotum“ herrlich witzig. Vielleicht hätte man bei besagter Arie an ein oder zwei Stellen das Tempo ein wenig drosseln können, um es dann umso spektakulärer wieder hochzufahren, aber das ist Kritik auf extrem hohem Niveau. Ob Dirigent Diego Matheuz ihm das so vorgab oder ihm sängerfreundlich folgte, war nicht ganz auszumachen, doch passte unter seinem Dirigat kein Blatt zwischen Bühne und Graben, fügte sich auch in den berühmt-berüchtigten Rossini-Crescendo-Schlüssen alles zusammen. Das Staatsopernorchester folgte dem Temperamentbündel am Pult und ließ sich mitreißen, was zwar in der Ouvertüre zu Lasten der einen oder anderen versäumten Note ging (die Probensituation so kurz nach dem Opernball kann man sich vorstellen), aber lieber das als Rossini mit angezogener Handbremse.