Um das Gastspiel der St. Petersburger Philharmoniker unter der Leitung ihres Chefdirigenten Yuri Temirkanov mit einem Wort zu charakterisieren, lässt sich kaum ein treffenderes als gepflegte Spielkultur finden. Der 78jährige Dirigent leitete das Orchester zum ersten Mal 1967 und steht dem ältesten Sinfonieorchester Russlands seit knapp 30 Jahren als Chefdirigent vor. Vom ersten Takt an merkt der Hörer, dass hier eine Gemeinschaft von Musikern zusammengekommen ist, deren Mitglieder aufeinander bestens eingespielt sind. Temirkanov reicht eine auf das Wesentliche reduzierte Gestik, um ohne Dirigierstab und mit bloßen Händen einen Klang zu schaffen, dessen Homogenität auf unübertroffene Weise ausbalanciert ist.
Eröffnet wurde der Abend mit Johannes Brahms' Klavierkonzert Nr. 1, das heute gerne im Blick auf die satzübergreifenden Zusammenhänge als „Symphonie mit obligatem Klavier“ bezeichnet wird, aber doch ein echtes Solokonzert ist, das dem Pianisten die Bewältigung hoher spieltechnischer Schwierigkeiten abverlangt und ihm ein Orchester als Dialogpartner gegenüberstellt. Die Figurationen im Klavierpart sind oft fast sperrig und hinterlassen beim Hörer einen angestrengten Eindruck. Doch dieser Ausdruck äußerster Anspannung mit dem Verzicht auf äußerliche Brillanz bildet eine Kampfansage gegen das leere Virtuosentum, das Brahms an seinen Zeitgenossen so verabscheute. Bei Rudolf Buchbinder sind die Vertracktheiten des gefürchteten Klavierparts in besten Händen. Nichts wird bei ihm geglättet, aber auch nichts aufgedonnert.
Das erste Klavierkonzert beginnt, sehr ungewöhnlich für Brahms, mit einem kolossal-wuchtigen Thema: Über einem rollenden Pauken-Orgelpunkt, den Kontrabässe und Hörner noch verstärken, exponieren die Streicher mit Oktavsprüngen, Akzenten und Trillern ein Thema, dessen Vorbild auf das der neunten Symphonie Beethovens verweist. Wie in diesem, so ist auch in dem von Brahms der Fluss durch Pausen zerrissen, was Temirkanov und die St. Petersburger Philharmoniker vorzüglich umsetzen und doch keinesfalls grob musizieren. Der Pianist wird dieses Thema zwar nie allein spielen, allerdings muss sich Buchbinder bei späteren Auftritten des Themas mit schneidend-klirrenden, technisch höchst anspruchsvoll in Oktaven zu spielenden Trillern gegen das ganze Orchester durchsetzen.
Einen Dialog entfalten die beiden Kontrahenten dann in den dem Hauptthema folgenden lyrischen Nebenthemen. Und auch hier merkt man, dass die beiden Musiker seit langem miteinander freundschaftlich verbunden sind. Beide sind sich einig darin, die großen Konflikte zu vermeiden und auf Ausgeglichenheit zu setzen. Im zweiten Satz, der an eine Gesangs-Szene mit fast sakralem Charakter erinnert, wird der Pianist dann feinsinnig vom Orchester begleitet. Meisterte Buchbinder im Kopfsatz Durchsetzungskraft, so gelang ihm hier eine fast improvisatorische Gestaltung, die den Aufbau des Satzes so vage hielt, wie Brahms Zäsuren fast durchweg vermieden hat.