Der Oktober steht bei Bachtrack ganz im Zeichen des Barock. In den letzten Jahren haben wir den unaufhaltsamen Aufstieg von Countertenören beobachtet – sie sind überall! Jetzt ist es an der Zeit, von den führenden Countertenören unserer Zeit etwas mehr über ihr Fach herauszufinden.
Countertenor Anthony Roth Costanzo begann seine Gesangskarriere mit 11 und ist seitdem in Opern, Konzerten, Recitals, Filmen und am Broadway aufgetreten. In dieser Spielzeit sieht man ihn mit der English National Opera in der Titelrolle von Philip Glass' Echnaton sowie in zwei Weltpremieren: Jake Heggies Great Scott an der Lyric Opera of Chicago und der San Diego Opera, und Jimmy Lopez' Bel Canto an der Lyric Opera of Chicago. Zudem gibt er sein Debüt beim Ojai Festival in der amerikanischen Premiere von Kaija Sariaahos Only the Sound Remains.
Wie erklären Sie sich die explosionsartig gestiegene Beliebtheit von Countertenören?
Im Vergleich zu vor 30 Jahren ist Barockoper nun relativ häufig und selbst in größeren Häusern auf der ganzen Welt keine Kuriosität mehr. Infolgedessen gibt es auch mehr Gelegenheiten für Countertenöre, aufzutreten. Zusätzlich zu den musikalischen Vorzügen der barocken Oper findet ihre Handlung überwiegend in Rezitativen statt; die Arien sind meistens ein knappes Ausdrücken von Gedanken oder Emotionen. Das kann Regisseuren viel Freiraum geben, um die substantiellen Teile der Oper in eine Traumlandschaft zu verwandeln oder ihnen einen neuen Handlungsort zu geben, was sie zu einem leichter formbaren Medium zur Interpretation macht als sagen wir eine Verismo-Oper. In aller Kürze, Barockoper und die erforderlichen Countertenöre passen gut zu den theatralisch kreativen Ansätzen, die heute von vielen Opernkompanien geschätzt werden.
Obwohl Countertenöre heutzutage überall singen, glaube ich, dass der Grund, aus dem wir die Hörer immer noch faszinieren, die uns anhaftende Neuheit ist. Es gibt kaum einen Raum, einen Saal oder ein Theater in dem ich singe, wo, wenn ich danach frage, nicht ein großer Teil des Publikums noch nie zuvor einen Countertenor gehört hat. Natürlich kennen Liebhaber dieses Stimmfach gut, aber ein Großteil der meisten Hörer ist fühlbar geschockt, wenn wir unseren Mund zum ersten Mal aufmachen. Und das ist GUT. Jemandem, für den Oper noch Neuland ist, gibt das Halt, etwas, das sie fasziniert, wenn sie diese Kunstform kennen-, verstehen und hoffen lieben lernen. Doch ich glaube selbst für jemanden, der schon Erfahrungen mit Countertenören hat, gibt es noch immer eine Art Faszination bei dieser kognitiven Dissonanz dieser Stimmen mit den dazugehörigen Körpern.
Welche Opernrolle mögen Sie am liebsten, und warum?
Meine Lieblingsrolle scheint sich gerade von einer Minute zur nächsten zu ändern, vor allem, weil ich in jeder Spielzeit neue Rollen spiele. Davon abgesehen aber steht Glucks Orfeo stimmlich, emotional und musikalisch ganz oben auf der liste. Die Einfachheit der Geschichte, die schmerzhafte Reise, die er unternehmen muss, er ist zugleich stark und verletzlich, das fühlt sich für mich eine perfekte Verbindung für Gesang an. Außerdem gibt seine Musik reichlich Gelegenheit für üppige Weite, man segelt über einem vollen Chor oder Orchester, doch sie besitzt auch ergreifende Augenblicke stiller Einkehr, Trauer und sogar Entschlossenheit. Sie ist voller aufregender Momente für einen singenden Schauspieler, und die schiere Schönheit der Musik ist natürlich frappierend.
Wann haben Sie Ihre Countertenor-Stimme entdeckt?
Ich war mit 11 als Knabenröhre am Broadway, bis ich 13 war, und ich wurde zum ersten Mal für eine Oper angefragt, als ich 13 war und sie einen Miles für Brittens Turn of the Screw brauchten. Das war meine erste Begegnung mit dem Genre Oper, und ich war sofort begeistert. Selbst in diesem Alter empfand ich das Ausdruckspotential als so tiefgreifend und vielseitig. Ich habe die hohen Passagen für Knabensopran alle in Kopfstimme gesungen, und jemand, der die Produktion gesehen hatte, erwähnte, ob ich wohl ein junger Countertenor wäre. Ich hatte keine Ahnung, was ein Countertenor war, aber ich habe es nachgeschlagen und es schien eine großartige Gelegenheit, weiterhin hoch zu singen, was in gewisser Weise jeder erfolgreiche Knabensopran tun will. Es stellte sich heraus, dass ich den Stimmbruch bereits hinter mir hatte, als ich Miles sang, es war einfach allmählich passiert. Darum habe ich mich nie als Bariton oder Tenor versucht, sondern habe eigentlich immer im Violinschlüssel gesungen.