Ob man ihn hasst oder liebt, verachtet oder vergöttert – fest steht: Richard Wagner war und ist einer der bedeutendsten, einflussreichsten, aber auch polarisierendsten Personen der Musikgeschichte. Von seinen glühenden Verehrern und treuen Wagnerianern bis hin zu seiner antisemitischen Gesinnung und der Instrumentalisierung seiner Musik in der NS-Zeit – Wagners Werke wurden von vielen für sich beansprucht.
Das 2020 erschienene Buch des New Yorker Musikkritikers Alex Ross Die Welt nach Wagner (orig. Wagnerism: Art and Politics in the Shadow of Music) belegt dies mit seinen zahlreichen spannenden Beispielen und fundierten Referenzen, die weit über das oberflächliche Wissen um den Komponisten hinausgehen und eröffnet so einen ganz neuen Einblick in den „Kosmos Wagner“. Ob moderne Kunst, Politik oder Literatur – niemand schien sich dem Einfluss des so kontroversen und problematischen Komponisten entziehen zu können.
Auch die Bamberger Symphoniker wurden von dieser reichhaltigen und breitgefächerten Biographie der etwas anderen Art zu einer Reihe von Konzerten, in denen das Mysterium Wagner symphonisch neu beleuchtet und erforscht werden soll, inspiriert. Ich habe mit ihrem Intendanten Marcus Rudolf Axt über die Faszination, die Wagner auf sie ausübt und über die bevorstehenden Wagner-Konzerte gesprochen, aber auch darüber, wie wichtig es ist, Wagner immer wieder, auch im 21. Jahrhundert, relevant zu halten.
„Wagner ist ein Teil des musikalischen Repertoires, der auch von einem Symphonieorchester durchaus mitgedacht und gespielt werden muss“, so Axt. „Das haben wir schon immer gemacht. Wir haben regelmäßig Ouvertüren von Wagner in den Konzertprogrammen und seine Opern auch konzertant aufgeführt.“ Und tatsächlich kommt die Geschichte der Bamberger Symphoniker nicht ohne Wagner aus; er ist ein Fixpunkt in der Konzerttätigkeit des Orchesters. Unter Jonathan Nott wurden fast alle Wagner-Opern in Bamberg konzertant aufgeführt und auch Der Ring des Nibelungen wurde beim Lucerne Festival 2013 zu einem wichtigen Meilenstein der Orchestergeschichte. Aber auch eine der ersten Aufführungen des Parsifal außerhalb Bayreuths nach Ablauf der Schutzfrist 1914 vom Vorgänger-Orchester im Deutschen Opernhaus in Prag oder Die Walküre unter Joseph Keilberth, die 1955 als Gastspiel der Bayreuther Festspiele in Barcelona aufgeführt wurde und in denen zahlreiche Musiker*innen der Bamberger Symphoniker mitwirkten, untermauern die ereignisreiche Aufführungsgeschichte des Wagner'schen Œuvres.
Nun möchte man jedoch neue Wege gehen – statt weiterer konzertanter Opern plant Intendant Marcus Rudolf Axt dieses Thema von einer anderen Seite zu beleuchten, ihm eine andere Sicht geben. So musste er sich fragen: „Was können wir am besten im Kosmos Wagner? Und das ist ganz klar das Symphonische, die symphonischen Elemente oder eben die symphonische Wirkung Wagners Musik.“ Aus dieser Erkenntnis erwuchsen vier Konzerte, die Ende Mai bis Anfang Juni aufgeführt werden.
Mit dem Ring ohne Worte, der sowohl in der Konzerthalle Bamberg als auch in der Münchener Isarphilharmonie aufgeführt wird, möchte das Orchester an die illustre Historie der Wagner-Konzerte der Bamberger Symphoniker anknüpfen. „Was wir gerade versuchen, ist, zu dem Ring ohne Worte ein paar Worte dazu zu stellen. Wir wollen uns in einer Art Labor oder Werkstatt mit den symphonischen Wirkungen des Ganzen beschäftigen.“ So wird aus der von Lorin Maazel arrangierten, circa 70-minütigen Kurzfassung des monumentalen Werks ein Ring mit Worten.
„Das Buch von Alex Ross ist wirklich eine tolle Inspirationsquelle und macht deutlich, wie weit Wagner diese gesamten kulturellen Bereiche im 20. Jahrhundert beeinflusst hat.“ Axt erwähnt die vielen literarischen Einflüsse, wie beispielsweise Nietzsche und Schopenhauer, George Bernard Shaw und Thomas Mann und offeriert so einen Einblick in das Programm des Abends: Diese Einflüsse sollen in Zitaten, „die man zwischen einzelnen Nummern, auch mal über den Text, über die Musik laufen lässt, um einen zusätzlichen Verständnishorizont zu öffnen,“ in das Konzert eingebunden werden.
An diese Idee knüpft auch das Konzert Die Welt nach Wagner an, laut Axt „vielleicht das spannendste Projekt, bei dem wir noch mitten im kreativen Prozess sind. Daher haben wir jetzt den Titel Die Welt mit Wagner gefunden.”
„Wir möchten eine Geschichte erzählen über den Einfluss von Wagners Musik auf andere Kompositionen.“ Axt weist auf die Einflüsse auf Richard Strauss hin, das Adagietto aus Mahlers Fünfter Symphonie, aber auch unbekanntere Werke, wie beispielsweise den Nibelungenmarsch von Gottfried Sonntag, in dem Wagner ganz offen und unverändert zitiert wird. „Das Ganze wird kombiniert mit filmischen Ausschnitten, in denen Richard Wagners Musik benutzt wurde. Wir wollen Überblendungen schaffen und Musik, Texte und Bilder zum Phänomen Wagner interdisziplinär und multimedial miteinander verweben, um den Wagner-Kosmos spürbar zu machen.“ Visuell wird das Ganze durch eine Inszenierung von Nick und Clemes Prokop unterstützt. „In 90 Minuten möchten wir mal diese übliche Rezeption zerstören, denn jeder hat ja so seine Vorurteile oder seine Meinung über Wagner und wir versuchen das einmal zu sprengen und dann neu zusammenzusetzen.”