Die ersten Opernnoten, die Nicholas Payne je hörte, waren der d-Moll-Akkord, mit dem Don Giovanni in Glyndebourne eröffnet wurde: Seine Eltern hatten Plätze in der ersten Reihe des Parketts gekauft, um sicherzustellen, dass der 11-jährige Junge die Bühne sehen konnte, ohne dass große Erwachsene seine Sicht versperrten. Payne war begeistert und machte sich sofort daran, wie besessen jede Mozart-Oper zu lernen, die er in die Finger bekam. Als er sich zwischen Liebe und Geld entscheiden musste, entschied er sich für seine Liebe zur Oper und startete damit eine Karriere, die ihn über Rollen beim britischen Arts Council, der Welsh National Opera, der Opera North und der Royal Opera London bis hin zur erfolgreichen Leitung der English National Opera führte. In den letzten 20 Jahren war er Direktor von Opera Europa, einer Fachorganisation, deren Mitgliederzahl in dieser Zeit von 36 auf 220 gestiegen ist. Diese Funktion und seine umfassenden Kenntnisse der Operngeschichte haben Payne eine einzigartige Plattform verschafft, von der aus er die heutige Opernwelt betrachten und verstehen kann.
David Karlin: Wie hat sich die Opernwelt in Ihren 20 Jahren bei Opera Europa verändert?
Nicholas Payne: Ich erinnere mich daran, dass wir, obwohl wir vorgaben, einander zuvorkommend zu sein, in Wirklichkeit sehr wettbewerbsorientiert waren und immer hofften, dass unsere Vorstellung interessanter sein würde als die in der nächsten Stadt. Eines der angenehmen Dinge an Opera Europa ist, dass es zwar immer noch eine gesunde Rivalität gibt, aber auch ein übergeordnetes Bedürfnis, gute Informationen, gute Praktiken, Inszenierungen und Ideen miteinander zu teilen. Das ist stärker als die Rivalität, denke ich.
Hat sich diese gute Praxis weiterentwickelt?
Ich denke, die Koproduktionen sind kreativer und weniger zynisch geworden. Vor dreißig Jahren ging es wohl eher um die Frage: „Wie kann ich ein paar Kröten verdienen, indem ich diese Inszenierung an jemanden verhökere, der nicht besonders geeignet ist?” Intendanten vereinbarten Koproduktionen bei Cognac und Zigarre, und wenn die Nachricht ihre technischen Abteilungen erreichte, hoben sie entsetzt die Hände über den Kopf. Ich glaube, wir haben das viel professioneller gemacht, zum Teil dadurch, dass wir die technischen und die Produktionsleute in ein gleichberechtigtes Gespräch einbezogen haben.
Apropos Finanzen: Die Oper war schon immer ein finanzielles Fass ohne Boden. Ist das jetzt schlimmer? Sind die Finanzen knapper als früher?
Das sagen alle, und ich bin mir nicht sicher, ob ich das glaube. Monteverdi war völlig abhängig von einem Lohnherrn, und als der Herzog von Mantua durch einen anderen Herzog ersetzt wurde, verlor er seine Stelle. Weil Orfeo ein Erfolg war, wuchs er mit seiner nächsten Oper, Arianna, über sich hinaus und machte einen großen Verlust – und das war das Ende der Opera Mantova! Die Oper hat immer Verluste gemacht – sie ist in diesem Sinne kein Geschäft. Die Frage ist nur: Wer zahlt die Rechnung?
Es gab eine kurze Zeit nach Monteverdi in Venedig, in der Leute wie Cavalli definitiv keinen Verlust machten – sie waren erfolgreiche Theaterunternehmer...
Es brauchte Investoren. Der große Durchbruch gelang 1737, als die Oper für das zahlende Publikum geöffnet und nicht mehr nur von einem reichen Herzog bezahlt wurde. In den vielen venezianischen Theatern kam es zu einem Preiskampf. Einige verlangten mehr Geld und engagierten teurere Sänger, was die Leute anlockte; andere kürzten ihre Kosten und Probenzeiten und hatten billigere Sänger, so dass sie die Eintrittspreise senken konnten. Was hat sich also geändert?
Früher hatten sie Syndikate. Das ist interessant, nicht wahr? Wenn heute eines unserer Unternehmen im Vereinigten Königreich eine Inszenierung auf die Beine stellt, bilden sie ein Syndikat von Spendern, nicht nur ein großes Unternehmen oder eine sehr reiche Person. Die Welsh National Opera zum Beispiel bittet 30 Personen um jeweils £ 5000. Das ist das italienische Modell, und es ist ein gutes Modell. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Modell, bei dem der Staat die Rechnung übernimmt, sehr neu ist – es ist eine Erfindung der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.
Einerseits wird behauptet, die Oper sei eine aussterbende Kunst für alte Säcke, andererseits heißt es, die Oper sei so lebendig wie nie zuvor. Überzeugt Sie eine dieser Behauptungen?
In gewisser Weise schon, aber die letztere ist noch stärker. Es ist interessant, dass jedes Mal, wenn etwas Neues erfunden wird, die Langspielplatte oder das Fernsehen oder in letzter Zeit das Streaming, die Leute sagen: „Oh, das ist das Ende des Live-Theaters”. Aber das ist es nicht, im Gegenteil, es ist eine Möglichkeit, das Theater für mehr Menschen zugänglich zu machen.
Aber es gibt diese Vorstellung, dass Oper nicht für jeden oder jede etwas ist, wie zum Beispiel, als Angela Rayner [Anm.: stellvertretende Vorsitzende der englischen Labour Party] für den Besuch von Le nozze di Figaro in Glyndebourne verrissen wurde...
Sie wissen, dass das Blödsinn ist. Warum sollte Angela Rayner nicht dorthin gehen, wenn sie es möchte? Es ist ziemlich interessant, dass Michael Gove [Anm.: britischer Politiker der Conservative Party, vor dem Rücktritt Boris Johnsons Minister für Wohnungswesen, Gemeinden und Kommunalverwaltung] während des jüngsten Chaos in der Tory-Regierung zu Cav & Pag in Covent Garden gegangen ist. Diese Leute sind eben auch Menschen.
Aber denken Sie zurück an Mozart. Was Mozart geerbt hat, war eine Art Spießeroper, in der es um Kaiser und Könige und reiche Leute ging. Er und Da Ponte wählten mit Le nozze di Figaro das damals revolutionärste Stück, das in Wien verboten worden war, und er kam mit diesem Stück durch, weil er es mit Musik untermalt hatte. Das Faszinierende an diesen Opern von Da Ponte ist, dass sie alle in der Gegenwart angesiedelt waren, und das war ein Durchbruch. Man versucht ständig, Wege zu finden, wie man eine Oper über die Gegenwart machen kann. Ich finde es interessant, dass sich die amerikanische Oper zu meinen Lebzeiten von einem kolonialistischen Unterfangen, bei dem europäische Komponist*innen und Sänger*innen importiert wurden, zu etwas entwickelt hat, wo neue Werke im Mittelpunkt stehen.
Alle machen sich Sorgen über die Überalterung des Publikums. Treffen Opernhäuser die richtigen Vorkehrungen, um das Publikum zu diversifizieren?
Sie versuchen es jedenfalls. Ich würde sagen, dass einige der Bemühungen erfolgreicher waren als andere, und das war ein großes Thema auf unserer jüngsten Konferenz in Prag. Denn Tatsache ist, dass nicht alle Zuhörer zurückgekommen sind. Und es gibt Unterschiede zwischen Madrid, wo die meisten zurückgekommen zu sein scheinen, und anderen Orten, wo es ein ernsthaftes Defizit gibt. Nimmt man den Durchschnitt aller Unternehmen, die wir kürzlich befragt haben, so liegt das Publikum wahrscheinlich bei 75 % von dem, was es 2019 war, und das ist eine beachtliche Zahl. Für einige von ihnen lautet die Priorität: „Zuerst müssen wir diese Zuschauer zurückgewinnen.” Für andere heißt es: „Wir akzeptieren, dass einige dieser grauen Zuschauer an Covid gestorben sind oder Angst haben, auszugehen. Deshalb müssen wir uns nach neuen Zuschauern umsehen.” Wenn man, wie ich es versuche, in einer Krise eine Chance sucht, würde man sagen: „Das ist eine fantastische Gelegenheit, das Publikum zu erneuern.” Wenn 25 % der Plätze nicht besetzt sind, wie kann man sie dann mit Publikum füllen? Und Sie wollen nicht nur ein jüngeres Publikum: Sie wollen ein vielfältiges Publikum, ein Publikum, das die Gesellschaft, in der wir leben, besser widerspiegelt.
Und das ist harte Arbeit. Eines der Dinge, die man über Marketing lernt, ist, dass die kosteneffektivste Art, das Publikum zu verbessern, darin besteht, jemanden, der eine Karte kauft, dazu zu bringen, zwei Karten zu kaufen, und einen Vier-Opern-Abonnenten zu einem Sechs-Opern-Abonnenten zu machen. Der Versuch, neue Abonnenten zu finden, kostet mehr Zeit und Mühe. Aber ich kann im Namen meiner Mitgliedsunternehmen sagen, dass sich fast alle von ihnen die Finger wund arbeiten, um diese Leute zu finden.