Die Frage nach dem besten Orchester der Welt wird zumeist damit beantwortet, dass es für bestimmte Epochen, Komponisten oder gar einzelne Werke jeweils unterschiedlich gut eingestellte Orchester gibt, oder anders formuliert, dass jedes Spitzenorchester ein spezielles Lieblings-Repertoire hat. Im Olymp der Orchesterkunst jedoch gelingt es, jedwedes Werk so zu interpretieren, dass es im Moment der Wiedergabe zum Lieblingsstück der Zuhörer wird und nicht umgekehrt. Dieses Kunststück vollbringen nur ganz wenige Orchester. Die Berliner Philharmoniker sind eines davon.
Wenn derart hochentwickelte Orchesterkultur auf einen Weltklasse-Dirigenten trifft, ist Exzellenz garantiert. So erlebt am 11. Juni in Berlin bei einem Konzertabend mit dem jungen venezolanischen Dirigenten Gustavo Dudamel, der mit den Berliner Philharmonikern Wolfgang Amadeus Mozarts Posthorn-Serenade und Gustav Mahlers Erste Symphonie zum Besten gab. Dudamel ist längst kein Geheimtipp mehr, sondern hat sich durch nachhaltige Qualität seinen festen Platz in der obersten Liga der weltweiten Spitzendirigenten erobert. Auch mit den Berliner Philharmonikern verbindet ihn eine Zusammenarbeit, die bis ins Jahr 2008 zurückreicht, und erst kürzlich stand eine gemeinsame, umjubelte Europa-Tournee auf dem Spielplan. Stünde er zur Wahl, hätte Dudamel vermutlich keine schlechten Chancen, von den Philharmonikern zum Chefdirigenten gekürt zu werden. Vielleicht ist er noch ein wenig zu jung, aber eben zum Glück noch so jung für einen Dirigenten, dass dieser Traum in der Zukunft in Erfüllung gehen kann.
Ein Traum war auch der Musikgenuss jenes 11. Juni in Berlin. Das Konzert begann mit der auch als „Finalmusik“ titulierten Posthorn-Serenade, die der junge Mozart anlässlich der Abschlussfeier des Studienjahrs 1779 in Salzburg komponiert hatte. Während die Philharmoniker die ersten beiden Sätze der siebensätzigen Serenade noch etwas variantenarm, obgleich äußerst klangschön, anstimmten, wurde spätestens mit dem Concertante und dem Rondeau deutlich, mit welch fesselndem Gestaltungswillen jeder einzelne Orchestermusiker gesegnet ist. Es ist stets faszinierend zu sehen und zu hören, wie alle Mitglieder dieses großartigen Klangkörpers stets mit Leib und Seele musizieren, so als wäre jedes Konzert das wichtigste der Saison.
Und eigentlich ist es das ja auch, denn Live-Musik lebt von der hellwachen Spontaneität, die durch das Miterleben des Publikums verstärkt wird. Qualität wird zur Brillanz, wenn Spontaneität im Zusammenspiel so vieler starker und impulsiver Charaktere nicht zum Chaos gerät, sondern vielmehr die mühsam erübte Routine und die Empathie jedes einzelnen Musikers das gemeinsame Klangideal Wirklichkeit werden lässt. Blickt man in die Gesichter der Philharmoniker, dann spürt man den großen Stolz, Teil dieses perfekten Klangwunders zu sein, aber auch die kindliche Freude, wenn man es einem wieder einmal gelungen ist, eine Sekunde göttlicher Perfektion zu erschaffen, die man als einzelnes Menschlein niemals wird erzeugen können.
Helle Freude versprühen auch die weltbekannten Solisten in den Reihen des Orchesters, und so mancher Zuhörer (auch ich) gluckste vor Glück, als Albrecht Mayer und Emmanuel Pahud den dritten und vierten Satz der Serenade in ein feines Concerto grosso umdeuteten und sich die ideenreichen artikulatorischen Finten und frechen Phrasierungen wie beim Pingong von einem Pult zum anderen schnippten. Mayer jedoch hatte nicht nur Sinn für seine Solo-Passagen, die auch in der anschließenden Mahler-Symphonie formvollendet gelangen, sondern ruderte mit seiner Oboe immer wieder zu seinem Pultnachbarn, als wollten sie ihre Instrumente vor lauter kammermusikalischer Verliebtheit ineinanderschlingen.