Ein Orchester zu Höchstleistungen zu motivieren, ist für Gastdirigenten vermutlich schwieriger als für den Chefdirigenten des Ensembles. Pablo Heras-Casado schaffte das beim Tonhalle-Orchester Zürich trotzdem. Schade nur, dass das Publikumsaufkommen an diesem Abend sehr mäßig war, zumal die Sopranistin Camilla Tilling das Konzert mit einer maßstabsetzenden Interpretation von Dutilleux' Correspondances eröffnete. Sind Debussy und Brahms keine Publikumsmagnete, solange nicht ein Solist auf dem Podium artistische Höchstleistungen vollführt?
Die umfassende Vermittlung der Inhalte von Correspondances an ein Abonnentenpublikum ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Es bedingt ein eingehendes Studium der dem Stück zugrundeliegenden Texte und ihrer zum Teil abstrakten, ins Mystische verweisenden Inhalte. Übersetzungen (im Begleitheft zu finden) können jedoch leider nur einen Abglanz des Originals vermitteln, lassen die Sprachmelodie und die Symbolik des Französischen außen vor. Während des Konzerts war es für die meisten Besucher zu dunkel zum Nachlesen des Textes, und auditiv war dieser nur in Bruchstücken zu erfassen. Dutilleux verstand es allerdings, die den Texten zugrundeliegenden Stimmungen eingängig und eindrücklich zu vermitteln – seine Musik erschließt sich selbst ohne detaillierte Kenntnis des Textinhalts.
Bereits im kurzen Eröffnungsstück, Gong 1 (wie später auch in Gong 2), zeigte die Sängerin wie sie mit ihrem natürlichen Timbre, ihrer wandlungsfähigen, wohltragenden Stimme ganz undramatisch Eindringlichkeit, Intensivität gestalten kann: wo andere mit erregtem Vibrieren Drama markieren, begann Camilla Tilling mit praktisch flacher Stimme, nutzte ein leichtes, organisches Vibrato, eher auf unbetonten Taktteilen und entlasteten Noten in einer Phrase, was ausgezeichnet funktionierte.
Erst im Folgestück, Danse cosmique, das von Flammen spricht, griff die Sängerin zum dramatischen Register, doch auch hier wirkte das Vibrato natürlich, brachte trotzdem Beengung und Nöte eindringlich zu Gehör. Erstaunlich war, wie sehr Orchester und Stimme zu einer Einheit verschmolzen, und wie die Sängerin es schaffte, selbst in den beeindruckenden Klangmassen des vorwiegend perkussiven Orchesterapparates präsent zu bleiben, akustisch nicht gegen- sondern mitzuhalten. Dem geschwätzigen, aber kurzen Interlude schafft das Akkordeon etwas Volksnähe. In À Slava et Galina (ein Brief Solschenitzyns an Rostropowitsch und seine Frau, Galina Wischnewskaja) demonstrierte Camilla Tilling ihre traumwandlerische Intonationssicherheit, überzeugte mit ausdrucksreicher, erzählender Stimmführung. Beeindruckt hat, wie sorgfältig sie die Dynamik gestaltete, dabei Spitzentöne zurücknahm statt sie herauszustellen. All das kann nur funktionieren, wenn das Orchester so einfühlsam dynamisch disponiert begleitet wie hier, wo Heras-Casado sicher, ohne Taktstock, dafür umso differenzierter und detailreicher durch das Werk führte. Correspondances schloss mit eindrücklichen, starken Bildern aus einem Brief van Goghs an seinen Bruder.