Als Graf Hermann Carl von Keyserling Johann Sebastian Bach beauftragte, ihm eine Serie von Klavierstücken zu komponieren, die ihm sein Hauspianist Johann Teophilus Goldberg in schlaflosen Nächten vorspielen sollte, konnte er nicht ahnen, dass er damit den Anstoß für eines der großartigsten Kunstwerke der Menschheitsgeschichte gab. Wenn man überhaupt Kritik an den Goldberg-Variationen üben kann, dann vielleicht mit einem Augenzwinkern dahingehend, dass dieser Variationszyklus musikalisch so aufregend und spannend ist, dass er zur Beruhigung in schlaflosen Nächten genauso wenig taugt wie eine amerikanische Thriller-Serie. Hätte allerdings statt Johann Teophilus Goldberg der französische Pianist Pierre-Laurent Aimard die Bach’schen Variationen so gespielt wie im Münchner Herkulessaal, dann wäre unser nachtgeplagter Graf Keyserling wohl umso mehr um seinen Schlaf gebracht worden.
Schon bei den ersten Takten der Aria spielte Aimard ungewohnt unpräzise, verschluckte Töne und huschte über wichtige Verbindungsskalen, als wären sie nur schmückendes Beiwerk. Man muss kein puristischer Gould-Jünger sein, um derartige Manierismen oder schlicht Schlampigkeiten abzulehnen. Aimard, der aus Noten spielte, laut atmete, gut hörbar mitsummte und teils etwas ungelenke Bewegungen mit seinem Oberkörper vollführte, war oft unkonzentriert und verlor immer wieder den musikalischen Faden, von offensichtlichen motorischen Fehlern einmal ganz abgesehen. Spätestens als der französische Pianist den zweiten Teil der Aria wiederholte, was er im Folgenden mit allen Variationen tat, war klar: Die folgenden 90 Minuten ohne Pause würden lang werden.
Zweifelsohne ist Aimard ein großartiger Musiker und verehrter Philanthrop, was ihm auch 2017 im Rahmen der Verleihung des Ernst von Siemens Musikpreises attestiert wurde, als er als „Lichtgestalt und internationale Schlüsselfigur im Musikleben unserer Zeit" bezeichnet wurde. Dieser Abend war jedoch leider kein Glanzpunkt in dieser ansonsten so beeindruckenden Musikerbiographie. Nach der Aria zeigte Aimard zwar in der ersten Variation, über welch differenzierte Anschlagstechnik er immer noch verfügt, spielte er doch die Variation ebenso wie die technisch diffizile fünfte Variation in einem gut definierten leggiero, aber auch hier platzten immer wieder laute Töne ungewollt heraus, Phrasen wurden jäh unterbrochen, weil die Finger nicht mitspielen wollten und wichtige Stimmführungen gingen im Tongestrüpp unter.