Die Händel'sche Opernreise mit Il pomo d'oro geht weiter. Für die diesmalige, wegen Corona nachgeholte Mini-Tour wählte man dafür den doch noch etwas seltener gespielten, jetzt mit knapp 105 Minuten stark gekürzten Oreste, um in gewohnt funkenreicher und in der von den Fesseln der angeordneten Stille befreiten Form den barocken Großmeister und sich selbst zu präsentieren. Dies tat das Ensemble unter der Leitung Maxim Emelyanychevs auch wieder in der für das Publikum geöffneten Philharmonie Essen, wo das eigentlich in Gänze aus vierzehn früheren Werken erstellte Pasticcio Händels mit einer ebenfalls für die Produktionen der Gruppe berüchtigten Solistenbesetzung aufwartete, die an die Uraufführung im Dezember 1734 erinnerte. Da schaffte es Händel nämlich in allem anerkennungswürdigen Pragmatismus, im neuen Theatre Covent Garden der eifernden Schlangengrube London mit einzig gestandener Loyalistin Strada sowie Kastrat Carestini, „Novizen“ und einer angesehenen Ballett-Truppe im ständigen Starschnitt-Wettstreit mit Bononcini, Porpora und Hasse gegenzuhalten.
So bildeten Franco Fagioli und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter Siobhán Stagg, Krystian Adam, Julia Lezhneva, Biagio Pizzuti und Margherita Sala heute ein gleichsam erfahrenes, dem Orchester vertrautes und teils doch neueres Who is Who der barocken Bühne ab. Sie schlüpften in die Rollen des blut- und trieblüstigen Thoas von Tauris und des mit Orest bestückten Quintetts von Inselankömmlingen, das herausgefordert ist, seinen durch eigene Erfahrung erzwungenen zivilisatorischen Entsagungs- und Rücksichtsgewinn in einem Contest ganz grundsätzlicher Art menschlichen Verhaltens zu verteidigen. Verblüffend, wie antike Gleichnisse dabei doch über Jahrtausende immer neu die Frage nach Reaktion und Umgang mit Despoten, Willkür, Menschen- und demokratischer Anschauungsfeindlichkeit aufwerfen können.
Den steten Kampf für Freiheit und Liebe ging Fagiolis als ab und zu mit dem Fatalismus liebäugelnden Oreste dabei mit stolzgeschwellter Brust und geläufiger Kopfstimme an. Dessen Volumen befand sich auch bis auf die erste Bravourarie auf der Höhe des aufgewirbelten Orchesters, als es nicht nur zu deren Einführung mit dem peinigend-plagenden Kettenschlagen des Cembalo-Martellatos und dem gewaltig aufgekratzten, sprühenden Dunkel der Streicher, sondern durchgehend mittels Emelyanychevs wild tippelnder, laut aufstampfender und herauskitzelnd gestenreich-akribischer Energie die fleischgewordene Windmaschine voller Dramatik sowie potentatischer und erwehrender Rasanz anschmiss. Il pomo d'oro besaß also alle Konturschärfe, die der Dirigent in jeder Stimmung mit jeder Verzierung oder notierten Farbigkeit erhofft effektstark verbunden mit seiner entsprechend antiphonen Aufstellung auszureizen verstand, um in handstreichartiger, herzerschütternder Radikalität die Musik zum besten Bollwerk der Gefühle und Tugenden zu machen. Auch über das anfängliche Wüten von Oreste hinweg lief damit Fagiolis Motor des typischen Gurgelvibratos, das dagegen – besonders in meinen hintersten Reihen des Saals – das gesangsdeutliche Gegenstück der Textverständlichkeit auf Sparflamme hielt.