Eigentlich ist in Richard Wagners Oper Die Meistersinger von Nürnberg über lange Abschnitte nicht viel Aktion auf der Bühne, und der Gedanke an Konversationsopern wie Richard Strauss' Intermezzo könnte sich aufdrängen, in der fein gedrechselte Gesprächsfäden an flüssig sanglicher Orchesterbegleitung entlang geführt werden. Ganz anders bei Barrie Kosky: die bunte vitale Inszenierung des Wahlberliners mit jüdischen Wurzeln wird nun zum vierten und letzten Mal bei den Bayreuther Festspielen gezeigt und begeisterte einmal mehr durch abwechslungsreiche Bilderfolgen ebenso wie höchstklassigen Wagner-Gesang.
Ins orchestrale Vorspiel wird auch ein amüsantes szenisches integriert, wie Wagners ursprünglichen Werktitel einer „Komischen Oper“ ausdeutend: Wagner kommt vom Hunde-Spaziergang zurück ins Haus Wahnfried, das Stubenmädchen kehrt die Hinterlassenschaften beiseite. Besuch wird herzlich begrüßt: die engen Freunde Franz Liszt und Hermann Levi, der später die Parsifal-Uraufführung leiten wird. Törtchen werden angeboten, Cosima zelebriert die Düfte einer Sammlung von Parfüms; Wagner und Liszt vierhändig am Flügel, aus dem Kinder und später sogar die Handwerker klettern dürfen. Und es ist voller Zauber, wenn Wagner und seine Weggefährten sich langsam in Charaktere der Meistersinger verwandeln: Wagner zu Hans Sachs, Liszt zu Veit Pogner, der Jude Levi zu Sixtus Beckmesser, Cosima zu Eva. Und Sachs auch umgekehrt später wieder beziehungsreich mit Wagnerkappe und wallendem Künstler-Umhang spielt.
Auch die Johannisnacht-Szene, in der Wagner Levi kräftig traktiert, richtig zu knien und mitzusingen, belässt Kosky in der Villa, und sogar die Meister treffen sich dort zu Schmaus und Vorstellung des Junkers Stolzing, die immer wieder vom Rüpelspaß der lärmend hereinbrechenden Lehrbuben launisch durcheinander gewirbelt werden. Erst zu Szenenende rückt die scheinbar heile Welt in den Hintergrund, eine neue Halle ist Abbild des Schwurgerichtssaals 600 der Nürnberger Prozesse, in der auch jüdisches Leid Gegenstand der Verhandlung war; eine Uhr rast immer wieder rückwärts, lässt an überwunden geglaubte Vorurteile und nationalistische Anfeindungen denken. Allerdings bevölkert Kosky diesen Saal nicht mit Richtern oder Angeklagten, sondern den volk- wie erfolgreichen Gildentreffen der Meister ebenso wie den fast intimen Zwiegesprächen in der Schusterstube zwischen Sachs und Eva; da bleibt der politische Fingerzeig der Regie eher zurückhaltend und blass.
Hans Sachs, „Schuhmacher und Poet dazu“: so wie er haben auch die anderen Nürnberger Handwerker ein Faible für die Kunst, insbesondere ein zwar altertümliches, aber geliebtes Regelwerk zum Singen. Sangesfreudige Händler sind offenbar nicht in ihren Reihen, auch keine regierende Obrigkeit, und bei der abschließenden Festwiese werden die Fürther Mädchen aus der Nachbarstadt begrüßt. Einer der ihren zu werden ist streng geregelt: der fränkische Junker Stolzing bringt zwar Lebkuchen mit, hat aber dann nur Augen für Eva, Tochter des Goldschmieds Pogner. Dieser wünscht, dass Eva sich beim nächsten Preislied-Wettbewerb den richtigen Ehemann aussucht, aber für sie hat die heimische Auswahl wenig Reiz. So geht Stolzing zwar mit jugendlichem Elan, aber zu wenig notierter Kunstfertigkeit ins vokale Rennen, überzeugt die konservativen Meister daher nicht.