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Unaufhaltsame Reise in den Tod: Puccinis Manon Lescaut am Opernhaus Zürich

Von , 15 Februar 2025

Es ist eine herzzerreißende Liebesgeschichte, die am Schluss kein Auge trocken lässt: Wenn im vierten Akt Manon in den Armen ihres Geliebten Des Grieux in der amerikanischen Wüste aus Erschöpfung und Kummer stirbt, findet eine Reise ihren tragischen Abschluss, die von Anfang an unter schlechten Vorzeichen gestartet ist. In Amiens haben sich die für das Kloster bestimmte Manon und der Student Des Grieux kennen gelernt. In Paris hat Manon einen kontrastierenden Lebensentwurf als Kurtisane des begüterten Geronte ausprobiert, der sie schließlich verhaften ließ. In Le Havre hat das Paar auf den Abtransport nach Amerika gewartet, Manon dem Schicksal als Zwangsprostituierte entgegenblickend, Des Grieux als ihr treuer Begleiter. Und nun der Tod in der Wüste.

Daniel Norman (Edmondo)
© Monika Rittershaus

Giacomo Puccinis Dramma lirico Manon Lescaut ist am Opernhaus Zürich unter der musikalischen Leitung von Marco Armiliato und in der Regie von Barrie Kosky über die Bühne gegangen. Der Erfolg der Neuproduktion verdankt sich einer schlüssigen und innovativen Inszenierung, einem Puccini-erprobten Dirigenten und einem Protagonistenpaar, das die Emotionen zu erwecken versteht.

Saimir Pirgu (Chevalier des Grieux) und Konstantin Shushakov (Lescaut)
© Monika Rittershaus

Egal wie man diese Oper inszeniert – was auf jeden Fall funktionieren muss, ist die Liebesgeschichte. Mit Elena Stikhina als Manon und Saimir Pirgu als Cavaliere Des Grieux tut sie das, mit einem kleinen Vorbehalt, auf jeden Fall. Die russische Sopranistin, die man in Zürich bereits als Salome entdecken konnte und die auch sonst Power-Frauen-Rollen wie Médée oder Tosca singt, ist für Manon eine Idealbesetzung. Als eine Frau aus Fleisch und Blut genießt sie das Leben, die Liebe und den Luxus. Selbstbewusst, wie sie ist, bestimmt sie, wen sie liebt oder nicht, und übernimmt auch gerne die Führung. Natürlich steht da der Regieansatz Koskys dahinter, der die Rolle nicht mit erhobenem moralischem Zeigefinger als zwielichtige Gestalt, sondern als emanzipierte Frau der Jetztzeit darstellt.

Elena Stikhina (Manon Lescaut)
© Monika Rittershaus

Stimmlich bringt Stikhina alles mit, was es für einen Puccini braucht: Durchschlagskraft, Wandlungsfähigkeit und Emotionalität. Bei Saimir Pirgu, der in Zürich unter anderem in der Titelrolle in Les contes d’Hoffmann aufgetreten ist, gibt es zwischen darstellerischer und stimmlicher Begabung Differenzen. Als Liebhaber zeigt er sich vielschichtig, keineswegs nur als Macho, opfert für Manon sogar sein angenehmes Leben und folgt ihr in den Tod. Stimmlich hat Pirgu das Rüstzeug zu einem Heldentenor. Doch presst er in der Höhe bei den lauten Stellen oft derart, dass es einem in den Ohren weh tut. Der Geronte von Shavleg Armasi bildet zu Des Grieux einen wirkungsvollen Kontrast. Dass er in dieser Inszenierung nicht als alter Trottel gezeichnet wird, ist lobend zu erwähnen. Der Vierte im Bunde, Konstantin Shushakov als Manons Bruder Lescaut, zeigt sich stimmlich als wendiger Charakter und ist darstellerisch als Strippenzieher, Zuhälter und egoistischer Profiteur eine schillernde Figur.

Saimir Pirgu (Chevalier des Grieux) und Elena Stikhina (Manon Lescaut)
© Toni Suter

Im Gegensatz zu den meisten Regisseuren, die Puccinis Verismo in naturalistischen Bildern ausschlachten, verzichtet Kosky auf eine solche Deutung. Vielmehr herrschen Abstraktion und Minimalismus vor. Die Rückwand der Bühne hat Rufus Didwiszus als dunkle Fläche gestaltet, auf der sich verschwommene Landschaften abzeichnen. Davor spielt sich eine Handlung ab, die als Reise in den Tod gekennzeichnet ist. Wenn Manon in Amiens ankommt, entsteigt sie einer Kutsche, die einem überdimensionierten Sarg gleicht. Gezogen wird er von zwei täuschend echt aussehenden Rappen, deren Zügel der Tod in persona in den Händen hält.

Manon Lescaut
© Monika Rittershaus

Im Paris-Akt verwandelt sich die Kutsche in den goldenen Käfig, in den Geronte Manon einsperren möchte und aus dem sie entflieht. Im dritten Akt schleppen die Pferde die Käfige, in denen die zur Deportation bestimmten Frauen eingesperrt sind. Und im Amerika-Akt schließlich sind es Des Grieux und Manon selber, die den Karren mit ihren noch verbleibenden Habseligkeiten ziehen. Hier wird der Minimalismus der Inszenierung auf die Spitze getrieben: Keine Wüste, keine Requisiten (auch der Wagen verschwindet), keine Komparsen – Ende der Liebesbeziehung in völliger Isolation.

Manon Lescaut
© Monika Rittershaus

Kein Verismo auch bei den Chor- und Statistenrollen. Klaus Bruns steckt sie alle in groteske Gewänder, einer Mischung von Barock und Karneval, und fratzenhafte Masken. Die vom Libretto vorgesehenen Studenten, Soldaten, Hofdamen oder Musiker verlieren dadurch ihre Individualität und rücken umso mehr die Liebesgeschichte in den Vordergrund. Die Anspielung an die Barockzeit rührt von der literarischen Vorlage der Oper her, dem 1831 erschienenen Roman L‘histoire du chevalier Des Grieux et de Manon Lescaut von Abbé Prévost.

Elena Stikhina (Manon Lescaut) und Saimir Pirgu (Chevalier des Grieux)
© Toni Suter

Puccinis Partitur stellt diesen Bezug musikalisch her, indem immer wieder pseudobarocke Stilelemente erklingen, am ausgiebigsten im Paris-Akt. Auf der anderen Seite ist der Einfluss Wagners deutlich spürbar, insbesondere in der Harmonik und in der Orchesterbehandlung. Und Puccini-Kenner werden in Manon Lescaut, der Oper, die den Weltruhm des Komponisten begründet hat, bereits die stilistischen Merkmale der späteren, noch berühmteren Opern heraushören. Marco Armiliato, der einen großen Teil dieser Hits auch in Zürich dirigiert hat, leitet die Philharmonia Zürich in einer souveränen Weise, die all diese unterschiedlichen Ebenen ineinander verwebt und zu einem charakteristischen Ganzen fügt. 

****1
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“stimmlich bringt Stikhina alles mit, was es für einen Puccini braucht”
Rezensierte Veranstaltung: Opernhaus, Zürich, am 13 Februar 2025
Puccini, Manon Lescaut
Oper Zürich
Marco Armiliato, Musikalische Leitung
Barrie Kosky, Regie
Rufus Didwiszus, Bühnenbild
Klaus Bruns, Kostüme
Franck Evin, Licht
Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich
Fabio Dietsche, Dramaturgie
Elena Stikhina, Manon Lescaut
Saimir Pirgu, Chevalier des Grieux
Konstantin Shushakov, Lescaut
Shavleg Armasi, Geronte di Ravoir
Daniel Norman, Edmondo
Valeriy Murga, Innkeeper
Siena Licht Miller, Musician
Álvaro Diana Sanchez, Dancing master
Samson Setu, Sergeant of archers
Raúl Gutiérrez, Lamplighter
Lobel Barun, Naval commander
Ernst Raffelsberger, Chorleitung
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