Welche Kulisse wäre wohl geeigneter für eine Aufführung von Monteverdis L'Orfeo als das Schlosstheater in Schwetzingen? Die weitgehend original erhaltene Architektur des Schwetzinger Schlosstheaters von 1752 mit der perspektivischen Ansicht eines barocken Gartens auf dem gemalten Bühnenprospekt, den Rängen mit den kleinen Seitenlogen und dem klassizistischen Zuschauersaal ist ein idealer Rahmen für den Monteverdizyklus, den die Schwetzinger SWR-Festspiele zum Gedenken des 450. Geburtstages des Komponisten 2017 ins Programm genommen haben.
An diesem Abend steht Orfeo, die Favola in musica, mit der Monteverdi die eigentliche Geschichte der Oper begründet hat, am Programm. Schon die Uraufführung in Mantua 1607 soll nicht szenisch gewesen sein. Für die hier als halbszenisch angekündigte Realisierung hat der Regisseur Francesco Puleo das Schwetzinger Ambiente geschickt genutzt und eine Aufführung entstehen lassen, die den dramatischen Impuls des Werkes überzeugend vermittelt. Die Sängerinnen und Sänger nutzen die Bühne, auf der vor dem barocken Prospekt ein paar Stühle und ein weiß gedeckter Tisch zu sehen sind, was für die ersten beiden Akte, die in der Landschaft des mythischen Arkadien spielen, den Raum für die Hochzeitsparty Orfeos und Euridices abgeben.
Im dritten und vierten Akt stellen die umgestürzten Stühle und das Halbdunkel eindrücklich die Atmosphäre der Unterwelt dar. Im Graben hat das Orchester Platz genommen und die einleitende Toccata der Trompeten, Posaunen und Zinken erklingt aus einer der kleinen Seitenlogen. In modernen Kleidern agieren die Solisten ihre Rollen dramatisch aus: die Freude zu Beginn über die glückliche Verbindung Orfeos mit Euridice, deren angedeutete Trauung, man trinkt Sekt und tanzt, bis der plötzliche Eintritt der Botin, die den Tod Euridices verkündet, die Stimmung jäh in ihr Gegenteil verkehrt.
Das alles ist schon allein überzeugend durch das präsente Spiel der Akteure. Aber die Hauptrolle spielt an diesem Abend doch die Musik, die ja selbst im Prolog als allegorische Figur auftritt. Die Sopranistin Emanuela Galli singt diese Rolle, wie auch die der Euridice, mit starkem Ausdruck und subtiler Klangfärbung. Unter der Leitung von Davide Pozzi spielt das Ensemble La Venexiana hochgradig differenziert und nuanciert in der Tongebung. Dabei kommen die einzelnen Instrumente, die Monteverdi jeweils zur Charakterisierung der Situation einsetzt, wunderbar zur Geltung. So ist die Dramatik des unvermittelt einbrechenden Unglücks durch den Bericht der Botin, eindrucksvoll von Giuseppina Bridelli dargestellt, durch den harten Kontrast des musikalischen Wechsels von der heiteren Tanzmusik der Violinen zum strengen Klang der Orgel regelrecht sinnlich erfahrbar.
Auf den Höhepunkt kommt derart musikdramatisches Spiel in der großen Arie des Orfeo, wenn er im dritten Akt Caronte, den Fährmann zur Unterwelt, anfleht, ihm den Zugang dorthin zu erlauben und die sechs Strophen dieser Arie entsprechend zum Text von unterschiedlichen Instrumenten begleitet werden. Die Musikerinnen und Musiker von La Venexiana gestalten diese Passagen zu eigenen klingenden Dramen: die Erinnerung an Euridices Anmut durch die Geigen, die Trauer über ihren Tod wieder durch die strenge Orgel, und wenn Orfeo von sich selbst spricht durch Arpeggien der Harfe und Kantilenen der Geige. Und dieses Aufführungsprinzip zeichnet die gesamte Aufführung aus, das subtil artikulierte Spiel der Instrumentalisten und die überaus sensible Leitung, die zu größtmöglicher Transparenz führt.