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Jordi Savall mit neuer Vervollständigung Mozarts Großer c-Moll-Messe

Von , 30 Januar 2025

Die Beispiele, Mozarts Große c-Moll-Messe zu vervollständigen, nehmen in der Häufigkeit schon fast solche Züge wie beim Requiem an. Gespeist sind sie in beiden Fällen aus der ewigen Faszination Mozart überhaupt und der des leider unvollständigen Torsos einer großartigen Komposition. Nachdem bei letztjährigen Salzburger Pfingstfestspielen Cecilia Bartolis Musikdirektor Gianluca Capuano eine Ergänzung der Levin-Version vorstellte, ist es bei der jetzigen Mozartwoche an Jordi Savall und vor allem seiner rechten Hand Luca Guglielmi gewesen, eine neue Fassung zu präsentieren. Sie wiederholten dies auf ihrer Tour mit Le Concert des Nations sowie ab klassischem Repertoire und ab fünfundzwanzig Mitgliedern statt Reial dann La Capella Nacional de Catalunya benanntem Chor nachfolgend in der Elbphilharmonie, die just zeitgleich zum Mozart-Mekka Salzburg eben um das Geburtsdatum des Komponisten herum ein neues Mozartfestival veranstaltet.

Jordi Savall
© Daniel Dittus (2024)

Wie sieht Guglielmis Edition aus? Für das mit „Crucifixus – Et resurrexit“ und „Et in Spiritum sanctum“ komplettierte Credo bedient sich der Organist in Savalls Reihen mithilfe der Kontrafaktur (sakraler Text auf weltlichen) einerseits einer Arie Mozarts Oratorium Davide penitente, für das der Komponist selbst mit Kyrie und Gloria auf die Messe zurückgriff. Andererseits – nun eben nur innerhalb der Sequenz mit anderem Wortlaut – Mozarts verstärkter Skizze zum Credo der C-Dur-Messe KV 337. Für das Agnus Dei verwendet Guglielmi nochmals (und durch Übernahmen aus dem Solfeggio Nr. 2, KV 393) das „Christe eleison“, dem er ein von Mozarts Entwürfen inspiriertes Dona nobis pacem folgen lässt, das neue wie gleichzeitig verbindende Elemente vorheriger Sätze beinhaltet. Insgesamt also eine ausgesprochen logische, ja teils hervorragend passende Vervollständigung. So klammertechnisch durchdacht dabei die Wiederkehr des „Christe eleison“ des Kyrie auch besetzungsgleich im Agnus Dei mit dem freilich dafür stimmigen Solo-Sopran I, so hätte ich mich allein verteilungspraktisch und wirkungsinteressemäßig ebenfalls nicht beklagt, wenn der in Mozarts Fragment nur für das Benedictus vorgehaltene Solo-Bass noch einen weiteren Auftritt erhalten hätte.

Und jetzt: wie klang diese Missa? Erfreulich ansprechend wie schon Savalls Mozart-Requiem vor zwei Jahren in Salzburg, obgleich mit dem kleinen Savall typischen Aber – mit Ausnahme von „Et unam sanctam catholicam“ und Dona – nicht allzu großer Binnenkontrastierung durch Tempi, sprich langsame Sätze eher zügig, schnellere betulicher in gesetzterer anstelle leichtgängig-spritziger Artikulation und Rhythmik. Dennoch kamen – und das für bisherige Savall-Verhältnisse sehr positiv – die Charakterzüge aus festlichem Pracht- und resolutem Gewaltchor, engelszünglicher Aria und solider instrumentalsymphonischer Entwicklung theatralisch gut zur Geltung. Sogar derart, dass das scharf-unerbittliche Erbarmungsflehen des „Qui tollis“, das feierlich erlösende „Osanna“, das erfrischende Benedictus-Ensemble und das inständig zuversichtliche Dona durchaus mitreißende Wirkung entfalteten.

Mit genannter symphonischer Entwicklung konnte Le Concert des Nations seine Stärken übrigens immer besser zum Vorschein bringen und so – exemplarisch – im „Cum sancto Spiritu“ mit detailliert behandelten Farben der Hörner und Trompeten punkten. Damit einher ging die Zunahme an Phrasierungsgestaltung, die im begleitenden Bläsertrio des „Et incarnatus est“ durch Paolo Grazzi (Oboe), Marc Hantaï (Traverso) und Joaquim Guerra (Fagott) selbstverständlich besonders prominent und glücklicherweise auch ansprechend lebendig wurde. Dabei wahrte das Orchester stets die Balance zum Vokalen, das sich in Gänze als absolute Hörwohltat darstellte. So erfüllte die von Savalls Chordirektor Lluís Vilamajó einstudierte und kongruent zum Orchester (doppel-)antiphon aufgestellte Capella Nacional de Catalunya nicht nur höchste Ansprüche an Transparenz, Homogenität und Ansatzpräzision, sondern auch an dramafreudigem, nicht überdrehtem, doch eindeutig wachem Engagement und vor allem himmlischer Eleganz. Letztere mittels einer grandiosen Höhenkontrolle.

Von dieser gemeisterten Herausforderung legten demnach auch die Solisten Zeugnis ab, unter denen Sopran I Giulia Bolcato und Sopran II Elionor Martínez sowie Mezzo Lara Morger mit kristallinem, schneidigem und gleichsam warmem Eisblau eine Stilreinheit aufboten, die in ihrer beinahe flageoletthaften Fabelhaftigkeit seinesgleichen suchte. Dazu fügten sich David Fischers kraftheller Tenor und Matthias Winckhlers aufgeräumt klarer Bass für Terzett respektive Quartett angenehm fein ein.

****1
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Rezensierte Veranstaltung: Elbphilharmonie: Großer Saal, Hamburg, am 28 Januar 2025
Mozart, Messe Nr. 18 c-Moll "Große Messe", KV427 (KV417a)
Le Concert des Nations
La Capella Nacional de Catalunya
Giulia Bolcato, Sopran
Elionor Martínez Lara, Sopran
Lara Morger, Mezzosopran
David Fischer, Tenor
Matthias Winckhler, Bass
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