Heutzutage machen alle Selfies – in erster Linie um anderen zu zeigen, wie wahnsinnig toll und in welch irrer Location man gerade ist. Zum Beispiel in der Wiener Staatsoper. Aber wehe, die Selfie-Macher bekommen einen Spiegel vorgehalten. Dann werden’s narrisch.
Zumindest bei der Premiere von Alvis Hermanis’ sehr wienerischem Parsifal, der sich zur Jahrhundertwende in der Psychiatrie zuträgt. Denn in puncto Richard Wagner hört sich in dieser Stadt der Spaß, pardon, Schmäh auf, da schlägt Weinseligkeit in Bierernst um. Erwartet wird, auch wenn man Regie-Kummer gewöhnt ist, das Niveau vom siebten Himmel, wie auch immer dieser aussehen mag. Ansonsten gibt es ein gnadenloses (Buh-)Donnerwetter, wie eben für Alvis Hermanis und seinen Parsifal – und das, obwohl Mitleid ein Hauptthema dieses Werkes ist.
Verdient, zumindest in dieser Vehemenz, war das allerdings nicht, schließlich hatte Hermanis, wie allerorten im Feuilleton zu lesen war, auch die besten Absichten. Nur: gut gemeint ist noch nicht gut gemacht, und manches ist tatsächlich misslungen. Nüchtern betrachtet hat man aber zumindest ein wunderschönes Bühnenbild bekommen, das alle Ostern wieder Freude machen wird, so man am Geschehen darin noch ein wenig arbeitet – vielleicht unter dem Motto „weniger ist mehr“.
Es hat nämlich den Anschein, dass Hermanis alles aufbietet, was ihm zum Thema „Wien um die Jahrhundertwende“ bei Google untergekommen ist. Das von Hermanis persönlich entworfene Bühnenbild sieht als Ort der Handlung die psychiatrische Abteilung des (Otto) Wagner Spitals im 14. Wiener Gemeindebezirk vor. Darin finden sich Elemente der berühmten Kirche am Steinhof, beispielsweise wurden Engelstatuen der Fassade ins Innere des Spitals verlegt. Die Altarkuppel schwebt über der Szenerie und senkt sich auf den heiligen Gral, der sich bei Hermanis als Gehirn entpuppt. Hin und wieder gibt es Ausblicke in den weitläufigen Park; einige Szenen werden mit Videoprojektionen eines bebilderten Librettos in Frakturschrift überschrieben.
So weit, so ausgezeichnet als Idee. Doch leider merkt man dieser Inszenierung an, dass hier die Erzählung der Optik unterworfen und mit zu vielen Anspielungen überfrachtet wurde. Nicht, dass das Ambiente einer Psychiatrie für Parsifal unpassend wäre, immerhin muss Kundry „Irre! Irre!“ singen und schwankt ohnehin zwischen Manie und Depression. Da kann sie ruhig mit Elektroschocks aus dem Schlaf geholt werden und sich unter der Decke eines Spitalsbettes verstecken statt im Gedörn. Ärzte hat sie außerdem gleich zwei: Anstaltsleiter Gurnemanz ist der „good doc“, der Pathologe Klingsor der „bad doc“. Da muss Kundry zwangsläufig auf Siegmund Freuds Couch landen…
Dass der Chor herausragende Persönlichkeiten der Jahrhundertwende darstellen soll, beispielsweise Klimt und Schiele (allerdings in mäßig gelungener Maske), ist gut nachvollziehbar, auch, dass diese zur Gralsenthüllung in der Psychiatrie kommen – krank ist schließlich die ganze Gesellschaft. Doch dass sie zum Schluss mit geflügelten Goldhelmen auftreten (Kostüme: Kristine Jurjane) ist Komik pur und daher unangebracht. Auch Kundry trägt zwischenzeitlich einen lächerlichen, goldenen Kopfschmuck und Parsifal rückt zur Fußwaschung gar in einer goldenen (Gladiatoren?-)Rüstung an. Ist er nur ein Hirngespinst? Ist er ein schizophrener Patient und hält sich für Parsifal? Man weiß es nicht, aber das spricht nicht unbedingt gegen den Regisseur.