Die Inszenierung von Dieter Dorns Traviata war reduziert – sehr reduziert sogar. Aber bei der Wiederaufnahme an der Berliner Staatsoper unter den Linden war man dankbar dafür. Denn der an niederländische Stillleben gemahnende Bühnenaufbau mit den Vanitas-Allegorien des durch Tänzer geformten Totenkopfs hinter einem übergroßen zerbrochenen Spiegel und der stilisierten Sanduhr lenkte nicht vom Wesentlichen ab. Und das waren die Sänger. Allen voran Elsa Dreisig, die frisch aus dem internationalen Opernstudio sogleich auf die Bühne und ins Solistenensemble der Staatsoper geholt worden war, und die zu Saisonbeginn die Gretel in Hänsel und Gretel und sodann direkt die Violetta in Giuseppe Verdis La traviata geben sollte.
Die traditionsreiche Rolle der Violetta hat schon so manche Sängerin unsterblich gemacht. Viel öfter aber erlebte man das Scheitern an der Herausforderung, größte szenische und sängerische Schönheit in Einklang zu bringen mit dem brutal-archaischen Gefühl der kalten Todesangst und dem raschen Verblühen, dem Dahinsiechen einer jungen begehrenswerten Frau, die zum ersten Mal in ihrem Leben wahre Liebe empfindet, bevor die tückische Krankheit sie dahinrafft. Elsa Dreisig ist mit ihren 26 Jahren zwar jung und schön, doch würde sie die existenzielle Metamorphose auf die Bühne bringen können, die Giuseppe Verdi mit all seiner Könnerschaft der Violetta in die Partitur schrieb? Sie schaffte es; und mehr als nur das. Elsa Dreisig machte sich die Rolle zu eigen, sie wurde Violetta und zog ihr Publikum und all ihre Mitmusiker in den Bann einer der ergreifendsten Liebesgeschichten der Opernliteratur.
Dreisigs Talent ist außergewöhnlich, denn es vereint die flexible, transparente, biegsame und kristallklare Qualität moderner Stimmbildung mit dem epischen Schmelz der großen Diven vergangener Jahrhunderte. Ihre exzeptionelle sängerische Qualität in allen Lagen, der unbedingte Wille und die gleichzeitige Leichtigkeit, vollendete Kunst zu schaffen, packte alle. Bis in den Orchestergraben gab jeder sein Bestes, denn wann, wenn nicht an diesem Abend, konnte man Großes vollbringen.