Nach einem Wochenende mit gestreamten Vorstellungen von Adriana Lecouvreur und Tosca hatte die Wiener Staatsoper für den Anfang dieser Woche eine Wiener Erstaufführung auf dem Programm: Das verratene Meer von Hans Werner Henze. Nach der erfolglosen Uraufführung im Jahre 1990, kam 2006 bei den Salzburger Festspielen eine vom Komponisten angepasste japanische Version zur Aufführung. In Wien wurde jene Fassung nun auf Deutsch gesungen, Dirigentin Simone Young und das Regisseursgespann Jossi Wieler und Sergio Morabito nahmen jedoch auch einige Orchesterzwischenspiele der ursprünglichen Version wieder auf.
Das Libretto von Hans-Ulrich Treichel basiert auf dem Roman des Japaners Yukio Mishima (1925-1970). Dieser beschreibt den Mord einer Teenagergang an dem Schiffsoffizier Ryuji. Ryuji hatte zuvor seinen Seemannsberuf aufgegeben, um Fusako, die Mutter von Noboru, eines der Bandenmitglieder zu heiraten. Der Handlungsverlauf ähnelt einem Psychothriller: während des Orchestervorspiels stehen die fünf Bandenmitglieder mit ihren Mordwerkzeugen auf der Bühne und zum Ende des ersten Aktes wird eine Katze von ihnen als Mutprobe erschlagen. Bo Skovhus hat als Ryuji in der zweiten Szene seine lyrischsten Momente, als er singt: „Als ich das Meer zum ersten Mal sah, begann ich zu träumen.“ Er trägt mit seiner wandelbaren Stimme ebenso wie mit seinem Ausdruck als erfahrener Schauspieler die Handlung.
Das groß besetzte Orchester der Wiener Staatsoper (mit sieben Schlagzeugern) berauschte mit Richard-Strauss-artigen Klangorgien, die immer wieder mit feinsinnigen kammermusikalischen Ruheinseln abgewechselt wurden. In den 14 Szenen der zweiaktigen Oper kommen eine Musette, ein Madrigal und Kinderlied vor. Mit nur sieben Sängern und ohne Chor entsteht dennoch ein dichtes, sehr abwechslungsreiches Spiel um Liebe und Verrat, Anpassung und Gruppendruck. Henze lässt das Orchester als selbstständigen Kommentator der Handlung agieren; es ist immer präsent und verlangt äußerste Konzentration vom Zuhörer. Seine Musik schockiert und umschmeichelt und fällt von einem Extrem ins andere. Henze wusste genau, was man mit einer Stimme machen kann, wie Vera-Lotte Boecker im vorab aufgenommenen Pauseninterview verriet. Young hielt das Orchester während der Gesangszenen gut im Zaum, um es in den Verwandlungsmusiken umso gewaltsamer aufspielen zu lassen.