Zwei Leidenschaften lassen sich wunderbar miteinander verbinden: Musik und Reisen. Es sei denn, es herrscht eine weltweite Pandemie, dann köcheln die Vorlieben unausgelebt unter der nun heißen Flamme des Betrübtseins darüber vor sich hin. Einen kleinen Ersatz bieten die Streaming-Angebote, in denen man zumindest virtuell zu innig geschätzten vertrauten oder neuen Orten außerhalb der Vier Wände und selbiger Musik gelangt. Diesen Umstand – bei mir den Effekt entfachend, endlich nach Toronto und seinem Alte-Musik-Ensemble zu kommen – machte sich das seinen vierzigsten Geburtstag feiernde Tafelmusik Baroque Orchestra für ein Programm zu eigen, indem es zu einem Roadtrip nach England, Österreich, Deutschland, Frankreich und Italien einlud.
Startpunkt dieser erneut für bleibende Eindrücke und enthusiastische Erzählungen gesorgt habende Unternehmung von Tafelmusik waren London und Purcell. Dessen zahlreiche Bühnenmusiken, die jenseits seiner bedeutenden Semi-Opern kaum gespielt werden, veröffentlichten die erst vom plötzlichen Tod des Komponisten entsetzten, dann vom Schock erholt findigen Verleger in einem Sammelband. In dieser 1697 gedruckten Collection of Ayres for the Theatre befindet sich auch die Suite zum 1693 entstandenen The Double Dealer, deren Overture das in seiner Besetzung durchwechselnde Ensemble hier unter Leitung Geneviève Gilardeaus mit viel Elan und punktiertem wie geläufigem Drang blickhungriger, wissbegieriger Touristen mit engagierten Guides anging. Die acht folgenden kurzen Sätze boten dann im Schnelldurchlauf alles, was Purcell und die beliebten britannischen Bretter der Welt zu bieten haben: rhythmische Akkuratesse, englischen Charme und französische Tugendhaftigkeit, eine typisch folkloristische Hornpipe, eine ebenso unverwechselbar liebreizende slow aire, zwei äußerst galante Zwischenakt-Tunes und ein abschließend spritziger chaconniertes, eingängiges Liedchen in meisterlicher Balance aus milchbesüßter Tee-Milde und etwas röscherem Gebäck-Knack.
Wirklich körnig und feurig hafteten die Entdeckungen im Gedächtnis an das Geschmacksbilderbuch Österreichs, genauer der Pracht und dem Selbstverständnis Salzburgs, die die Skordatur-Violine und -Viola Julia Wedmans und Brandon Chuis (faszinierend makellos!) mit Basso in der Partia IV aus der Harmonia artificioso-ariosa zum Ausdruck brachten. Ob die Doppelgriffe im Vorspiel, die verrückt virtuosen Läufe, der Trezza-Kanon, der frische Biss und die energisch-energetisch-lustige Motiv-Verwertung eines Corelli im Pollicinello interpretierten die Musiker mit solch erstaunlich gastorientiert-sympathischer Tatkraft gleichsam heimisch-verwurzelter Kenntnis, dass man gerne noch länger an diesem Schatz verweilt hätte. So ging es aber, nachdem es ja zuvor „überflogen“ worden war, nach Deutschland und zwar nach Stuttgart und Hamburg. Bei Brescianellos c-Moll-Sonate für Oboe, Violine und Continuo erfuhr man durch die dargebotene Klasse etwas von der technischen Bewandtnis der italienisierten Württemberger oder württembergischen Italiener, als Cristina Zacharias und Marco Cera leicht und zart, mit dem bassalen Pep Keiran Campbells Cello strahlend und edelmütig den ersten Satz, mit umsichtiger Wärme das Adagio und mit noch mehr – Schwaben nachgesagter Gediegenheit ablegendem – Wagemut dynamisch und artikulatorischer Art das Allegro durch reizvolle Zuwürfe im Reisetagebuch festhielten.