Es ist erst Januar 2019 und schon werfen Concerto Köln und Kent Nagano den Blick unweigerlich auf die Saison 2020/2021 voraus, wenn sie ihr Projekt der „Wagner-Lesarten“ – also den Ring mit der größtmöglich historisch angenäherten Retrospektive auf die Uraufführung – in Köln zu Gehör bringen wollen. Dafür grooven sich Orchester und Dirigent mit dem Komponisten und umrahmendem romantischen Repertoire auf sich und die Aufgabe samt neuen alten Instrumenten sowie auf wissenschaftlichen Symposien diskutierten Spielweisen ein. Und mit Berlioz lässt sich zum Auftakt gar doch noch der momentane Jubilar für dieses Jahr einfangen. Auch sonst zeigte sich, dass dieser einige Verbindungslinien zog, die aufgrund der recht ungewöhnlichen Agenda des Abends sowie dank der freilegenden Art der Interpretation augen- und ohrenfällig hervortrat.
Nicht nur in programmatischer Hinsicht also zwischen künstlerischer Selbstverwirklichung, Persönlichem, Situationsdeskription und Motivik der drei Gespielten, sondern zudem mit der Wahl des Siegfried-Idylls fand der Eintritt in das Unterfangen passend und geschickt statt. Denn so zärtlich Wagners Stück mit dem Wecken der geliebten Cosima aus ihren Träumen mit den traumhaften Gefühlszuständen im Angesicht der Geburt ihres Sohnes beginnt, so leicht eröffnet sich die Herangehensweise Concerto Kölns, an die man sich eben wegen des nach wie vor relativ großen Bogens um einen musikhistorischen Wagner tatsächlich noch einfindend gewöhnen muss. Beispielsweise an das fehlende oder nur reduzierte Vibrato bis zu den Höhepunkten der aufgeworfenen Beziehungswallungen und Motive mit ihren herausfordernden Farben und Schattierungen, die in der Balance, Aufstellung und effektiven Klarheit wunderbar zum Vorschein kamen. Und an die feineren, gedämpfteren, speziellen Klänge des Holzes, artikulatorisch unterstützt durch die übereinstimmend zurückhaltenden, unschmierigen Glissandi, die die Grundstimmung wirkungsvoll einfingen und aus der Musik selbst sprechen konnte. Genauso die abgestufte Dynamik und die unterbliebenen überzogenen Tempospielereien, die es merklich bloß zum finalen Versiegen brauchte. Oder generell an die Besetzung aus neun ersten Violinen, zehn Zweiten und je sechs Musikern in den weiteren Streichergruppen.
Dieser blieben sich Nagano und das Orchester bis auf ein zusätzliches Cello im Paganini-Violinkonzert Nr. 4 treu, für das Shunske Sato, einer von Concerto Kölns Konzertmeistern und der Interpret, wenn es um darmbesaiteten Paganini geht, die Bühne mit Verstärkung des Schlagwerks und der Posaunen betrat. Just Perkussion und vor allem die Bassposaune verleihen dem Werk nämlich einen weiteren Schuss Extravaganz, gleich loslegend in der Einleitung mit dem Auftakt der ersten Geigen zu einem sonnig-schwelgenden, zirkusreif-theatralischen großen Liebesgedanken italienischen Pomps. Ihn griff Sato leidenschaftlich auf und machte die melodiösen Kalauer mit den einfallenden Vöglein- und Sehnsuchtsrufen (wie bei Wagner und ähnlich dem Gedanken beim Berlioz-Ständchen) oder dem Streichquartett-Accompagnato (wie später beim abschließenden Harold) zu dem, was man bei Paganini erwartet: einer romantisch aufgeheizten, teuflisch-verrückten, dramatischen, eigenwilligen Virtuosen-Show. In allen Facetten des bedachten Vibratoeinsatzes, der frischen Selbstverständlichkeit, der herrlichen Phrasierung sentimentaler Durchschreitungen in umherfliegender Wirbelei von tiefster G-Saite bis zum Griffbrettrand der E-Saite und im faszinierenden Herzrasen von Doppelgriff- und Flageolett-Reigen mit Springbogen-Arpeggien nahm Sato die Zuschauer so verdutzt von sich ein, dass es kurz dauerte, bis man nach dem Allegro maestoso schon in stürmischen Applaus verfiel.