ENFRDEES
The classical music website

Was hinter der Verkleidung steckt: ein Blick auf Carl Nielsens Maskarade

Von , 24 Februar 2015

Es muss etwas dran sein an nicht besonders guten Komödien, das aber zu guten Opern führen kann: Verdis Falstaff, seine Adaption von Shakespeares Lustigen Weibern von Windsor, zählt sicherlich zu seinen beliebtesten Werken, obwohl das Material des Ursprungs nicht gerade brillant ist. Das Gleiche gilt für Carl Nielsens Adaption von Ludvig Holbergs Komödie Maskarade (1724), ein eher abgedroschenes, nur gelegentlich komisches Schauspiel, das dennoch als Grundlage für eine Oper voller unwiderstehlichen Melodien, Witz und bunter, einfallsreicher Orchestrierung diente.

Bal Masqué (Charles Hermans, 1880)
© Public domain

Die Handlung trägt sich im Frühling 1723 in Kopenhagen zu. Der Vorhang hebt sich und zeigt unseren Helden Leander, der gerade von einem besonders schlimmen Kater aufwacht... um fünf Uhr nachmittags. Kurz darauf erwacht auch sein Diener Henrik, eine Art Figaro-Typ mit ausgeprägt sozialistischer Ader, und die beiden beginnen, die Ereignisse des Maskenballs der vergangenen Nacht nachzuvollziehen: Leander traf ein Mädchen, Leonora, und ganz so, wie es bei einer solchen Gelegenheit üblich scheint, verlobte sich mit ihr. Das Problem ist nur, Leander ist bereits verlobt mit der Tochter von Leonard, einem Kaufmann vom Lande. Leanders Vater, Jeronimus, ist rasend vor Wut und versucht vergeblich, Leander zum Einhalten seines Versprechens zu bewegen, der jedoch weigert sich.

Trotz Hausarrest machen sich Leander und Henrik auf den Weg zum Maskenball, um Leonora wiederzusehen. Direkt hinter ihnen befindet sich Leonard, der dieses nahezu magische Ereignis erleben möchte. Auch Leanders Mutter Magdelone, ebenfalls unter Hausarrest, schleicht sich davon, um sich als Maskierte zu vergnügen; gefangen in einer unglücklichen Ehe möchte sie einfach nur ausgehen und Spaß haben. Jeronimus entdeckt dies bald und begibt sich mit seinen Diener Arv im Schlepptau wutentbrannt zum Ball.

Die Feier ist in vollem Gange und alle Charaktere werden vom Wirbel aus Licht, Tanz und Romanze mitgerissen: Leander singt Leonora süße Nichtigkeiten, Henrik ist damit beschäftigt, um Leonoras Magd Pernille zu werben und wird gleichzeitig von alten Flammen angesprochen; Magdelone und Leonard sind sich ihrer wahren Identitäten nicht bewusst und beginnen, miteinander zu flirten, und Jeronimus betrinkt sich maßlos. Als am Ende der Feier alle Identitäten enthüllt werden, erkennt Leonard seine Tochter Leonora; alles ist vergeben und vergessen, da Leander und Leonora ohnehin schon verlobt waren, und ein mitreißender Chor, der die Vorzüge der Maskerade lobt, beendet die Oper.

Carl Nielsen (1908)
© Public domain

Ludvig Holberg war ein dänischer Schauspielautor des 18. Jahrhunderts und berühmt für seine von der commedia dell'arte inspirierten Komödien, die oft einen satirischen Unterton hatten. Carl Nielsen hatte lange mit der Idee einer komischen Oper gespielt, und hatte schon seit den 1890er Jahren eine solche auf der Basis einer Holberg-Komödie schreiben wollen. Einen Librettisten zu finden erwies sich als schwierige Aufgabe, denn die meisten Autoren, die er darauf ansprach, wagten es nicht, Holberg zu adaptieren, doch schließlich fand Nielsen jemand, der sich der Sache annahm: Vilhelm Andersen, der erste Professor für dänische Literatur an der Universität Kopenhagen. Es war jedoch nicht Andersens akademische Leistung, wegen der Nielsen ihn als Maskarade-Librettist wählte: Nielsen hatte Andersen in einer Studentenrevue auftreten sehen und war von dessen starkem Charisma sofort angezogen.

In Holbergs Maskarade wird der Maskenball des Titels abgesehen von einer Pantomime am Ende des ersten Aktes, die die Verlobung von Leander und Leonora beschreibt, nie explizit gezeigt; es wird ausschließlich darüber gesprochen. In seiner Opernfassung dampfte Andersen die Handlung von Holbergs Dreiakter ein, machte die eigentliche Handlung kompakter und fügte einen letzten Akt hinzu, der die mehr oder weniger alkoholseligen Ausgelassenheiten des Balles in all ihrer Pracht zeigt. Der neue Akt trägt wenig zur Entwicklung der Handlung bei, er ist vielmehr eine Collage der Ereignisse während eines Maskenballs, die vom moralisierenden Madrigal über Unterhaltung mit Ballett und Verwechslungen bis hin zur letztlichen Demaskierung, wenn die Gäste schließlich ihre wahre Identität enthüllen, zum Abschluss der Oper führt.

Nielsen rang lange mit der Komposition der Oper. Seine Frau Anne-Marie, selbst berühmte Bildhauerin, arbeitete zu der Zeit im Ausland und war sein geraumer Zeit abwesend. Aufgrund der vielen Arbeit hatte sie die Korrespondenz mit ihrem Ehemann vernachlässigt, was ihn sehr frustrierte, so sehr, dass er 1905 sogar die Scheidung einreichte. Diese Scheidung wurde nie vollzogen, und Nielsen hatte plötzlich einen Geistesblitz, wonach er die Oper in hochproduktiven Kreativitätsschüben vollendete. Er schrieb Anne-Marie von seinen Fortschritten, es wäre beinahe so, als wäre der Geist Holbergs in ihn gefahren, und er handle nun als sein Medium.

Maskarade entstand etwa zu der Zeit, in der Nielsen auch seinen berühmten Aufsatz über Mozart schrieb, und obwohl Mozart nicht als direktes Stilzitat präsent ist, so kann die Oper eine Mozart'sche Anmut und Leichtigkeit doch nicht verleugnen. Das Vorspiel zum zweiten Akt und das Lied des Nachtwächters allerdings könnten trotz Nielsens Verdrossenheit gegenüber Wagner aus dessen Meistersängern herausgeschnitten und hier eingefügt worden sein.

Außerhalb ihres heimatlichen Dänemark, wo sie zur Nationaloper geworden ist, wird die Oper nicht besonders häufig aufgeführt (auch in diesem Jubiläumsjahr führen wir nur eine einzige Aufführung, in Kopenhagen), doch es gibt zwei Instrumentalauszüge, die des öfteren ihren Weg auf die Programme von Orchesterkonzerten finden: die wundervoll überschäumende Ouvertüre, in der Nielsens charakteristische Melodien bei jeder Gelegenheit unerwartete Wendungen nehmen, und der auffällige Hanedans (zu Deutsch Hahnentanz) aus dem dritten Akt:

Der Hahnentanz: 

Maskarade ist voller Melodien mit Ohrwurm-Potential, gehüllt in Nielsens sehr individuelle Orchestrierung, von den Studenten, Offizieren und jungen Mädchen, die im zweiten Akt ihre Freude daran haben, Arv zu schikanieren, bis zu Magdelones fröhlicher Folie d’Espagne in Akt I. Mein persönlicher Favorit ist Henriks Arie „Først kommer fæl og fus” im ersten Akt, in der er mit viel Sarkasmus das dreiaktige Drama umreißt, das sich entfalten wird, wenn Jeronimus von Leanders Verlobung erfährt, komplett mit heulendem Mädchen im Falsett.

Während die Handlungsgeschwindigkeit in Maskarade generell sehr hoch ist und an jeder Ecke ein Witz zu warten scheint, so beruhigt sich das rasende Tempo doch von Zeit zu Zeit und macht Platz für herzerwärmend wunderbare Liebesduette, wie dieses hier zwischen Leander und Leonora im dritten Akt:

Es gibt nicht viele Aufnahmen von Maskarade, doch die wenigen, die existieren, geben einen guten Eindruck des Stückes. Was Tonaufnahmen betrifft, empfehle ich persönlich die Decca-Aufnahme von 1999 mit dem Dänischen National Symphonieorchester und einer ausgezeichneten Besetzung unter Ulf Schirmer. Bo Skovhus ist gibt einen schroffen, aber ausnehmend charmanten Henrik und bietet eine ausgezeichnete Kontrastfigur zu Gern Henning Jensens leidenschaftlichem Leander, und Aage Haugland spielt einen wunderbar überlauten Jeronimus. Es gibt auch eine frühere Aufnahme au dem Jahre 1979, dirigiert von John Frandsen und mit dem großartig kriecherischen Henrik des legendären dänischen Baritons Ib Hansen. Als Videoaufnahme gibt es Kasper Holtens Version von 2006, die die Handlung in die Gegenwart versetzt, und die diesen Frühling in Kopenhagen wieder aufgenommen wird.

Maskarade ist eine überraschend komische Oper über jugendliche Rebellion, eine neue, hoffentlich gerechtere Welt, und eine ältere Generation, die ihren Machtanspruch aufgibt. Gehüllt in entzückende Melodien und Klänge verdient sie mehr als nur einen gelegentlichen Platz im Spielplan.


Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck