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Alles eine Frage der Balance: die Bachtrack Klassik-Statistik 2024

Von , 27 Januar 2025

Wie verändert sich die Welt der klassischen Musik? Im Laufe des Jahres 2024 hat Bachtrack 30 774 Konzert-, Opern- und Tanzaufführungen in 48 Ländern der Welt erfasst. Dies ist die größte Datenbank für klassische Musik im Internet, die es uns ermöglicht, Trends zu erkennen und bisher unbeachtete Einblicke in den Wandel der klassischen Musikwelt zu gewähren.

Klicken Sie hier, um unsere vollständige Infographik mit den wichtigsten Werken, Komponist*innen, Dirigent*innen und Solist*innen anzuzeigen

In diesem Jahr setzen sich viele Trends fort, die in den letzten zehn Jahren zu beobachten waren, darunter die zunehmende Präsenz von Dirigentinnen und Komponistinnen und die allgemein zunehmende Häufigkeit von Aufführungen von Musik lebender Komponist*innen. Die Listen von Bachtrack umfassen die Spielzeiten großer Orchester, Opernhäuser und Konzerthäuser, so dass die beobachteten Trends Aufschluss darüber geben, wie sich die Programmplanung dieser größeren Institutionen verändert.

Viel zu tun

Das Toronto Symphony Orchestra hat sich 2024 gegenüber 2023 um zehn Plätze verbessert und ist nun das meistbeschäftigte Orchester in der diesjährigen Liste. Unter den Dirigent*innen im Konzertsaal ist Klaus Mäkelä von Platz 2 im letzten Jahr an die Spitze der Liste aufgestiegen – seine 113 für 2024 aufgelisteten Konzertengagements stehen den 118 des Toronto Symphony Orchestra in nichts nach. Ein weiterer Neueinsteiger in die Top 10 der meistbeschäftigten Dirigent*innen ist Sir Simon Rattle, dessen 78 Engagements im Jahr 2024 mehr als eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr bedeuten.

Dirigentinnen machen sich weiterhin bemerkbar. In diesem Jahr ist die Zahl der Engagements mehrerer bekannter Dirigentinnen deutlich gestiegen, darunter Joana Mallwitz, Nathalie Stutzmann, Simone Young, Kristiina Poska und Marie Jacquot, die in diesem Jahr im Alter von 34 Jahren Musikdirektorin des Royal Danish Orchestra wurde. Mehrere andere Dirigentinnen, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, konnten in diesem Jahr eine steigende Zahl von Engagements verzeichnen – ein ermutigendes Zeichen.

Es muss jedoch betont werden, dass Frauen in der Welt der Dirigent*innen immer noch deutlich in der Minderheit sind. Von allen in unserer Datenbank aufgeführten Konzerten wurden 13% von Frauen dirigiert, gegenüber 11% im Jahr 2023. Unter den 50 meistbeschäftigten Dirigent*innen sind 5 Frauen – unter den 100 meistbeschäftigten Dirigent*innen sind es insgesamt 13. In den Top 20 der meistbeschäftigten Dirigent*innen sind keine Frauen vertreten. Der Vergleich mit den Solist*innen ist etwas deutlicher: Von den Solist*innen, die im Jahr 2024 mindestens 10 Engagements hatten, waren 26% der Konzertpianist*innen, 21% der Konzertcellist*innen und 45% der Konzertviolinist*innen Frauen.

Vielfalt des Repertoires

Ein Aspekt, der uns in diesem Jahr interessierte, betraf die Konzertsolist*innen: Wer spielt was? Nehmen einige Solist*innen in einer Saison eine größere Bandbreite an Repertoire auf als andere? Die Antwort lautet, vielleicht wenig überraschend, ja – aber die Vielfalt des Repertoires bei einigen Solist*innen war überraschend. Kirill Gerstein, der viertaktivste Klaviersolist in unserer Liste, spielte in diesem Jahr bemerkenswerte 18 konzertante Werke, darunter Busonis gigantisches Klavierkonzert in C und unter anderem Ligetis Klavierkonzert, je zwei Konzerte von Adès, Rachmaninow und Ravel sowie drei von Beethoven.

Unsere beiden meistbeschäftigten Geiger Augustin Hadelich und Renaud Capuçon spielten in dieser Saison 17 bzw. 15 verschiedene konzertante Werke. Von den Cellosolist*innen, deren Repertoire naturgemäß begrenzter ist, spielten Anastasia Kobekina, Sol Gabetta und Alisa Weilerstein alle mindestens 9 verschiedene konzertante Werke, wobei Weilerstein zwei Uraufführungen interpretierte. Wir haben 15 Pianist*innen und 15 Violinist*innen gefunden, die in diesem Jahr mindestens 10 verschiedene konzertante Werke aufgeführt haben. Auch wenn unsere Auflistungen nur einen Ausschnitt aus der Tätigkeit der Solist*innen im Laufe einer Saison wiedergeben – viele spielen um einiges mehr, als unsere Auflistungen dokumentieren – so zeigt diese Stichprobe doch, dass sich Solist*innen der Spitzenklasse nicht immer auf eine kleine Auswahl an Repertoire beschränken.

Ein Jahr der Tschechen und Faurés

Was zieht Solist*innen, Dirigent*innen und Konzertplaner*innen zum Repertoire? Offensichtlich ist es eine Kombination von Faktoren – Popularität, Zweckmäßigkeit, Prestige, Pep. Zu den anderen Beweggründen, die aus den diesjährigen Daten hervorgehen, gehört, dass 2024 eine Reihe von Jubiläen begangen wurden, darunter Bruckner, Smetana, Fauré und Schönberg. Wie haben sich diese Jubiläen in den Aufführungen niedergeschlagen?

In Anbetracht seines Todes im Jahr 1924 hatten wir einen Anstieg der Fauré-Aufführungen erwartet. Doch das Ausmaß dieses Anstiegs widersprach den Erwartungen. In Frankreich stieg die Zahl der Fauré-Aufführungen von 67 im Vorjahr auf 243 und damit um 362%. Im Vereinigten Königreich verzeichnete Fauré einen vergleichbaren Zuwachs von 250%. In den USA wurden in diesem Jahr nur 33 Fauré-Aufführungen aufgeführt, was aber immer noch eine Steigerung von 300% gegenüber dem Vorjahr bedeutet.

Smetanas 200. Geburtstag fiel mit dem Jahr der Tschechischen Musik 2024 zusammen, was dazu führte, dass sich die Zahl der Aufführungen von Smetanas Opern fast verdoppelte. Dies führte auch dazu, dass Dvořák auf Platz 10 der meistgespielten Komponist*innen von Konzertmusik aufstieg. Dvořáks Neunte Symphonie „Aus der Neuen Welt“ war das meistgespielte Werk des Jahres 2024. Auch Janáček erlebte einen Aufschwung, insbesondere in den Opernhäusern, wo er in diesem Jahr auf Platz 10 der meistgespielten Opernkomponist*innen liegt. Aber nicht alle Zuwächse stehen im Zusammenhang mit Jubiläen – Strawinsky erlebte 2024 ein erfolgreiches Opernjahr mit 92 aufgeführten Aufführungen, was einer Steigerung von rund 350% gegenüber dem Vorjahr entspricht.

Bruckner erlebte angesichts seines 200. Geburtstags einen deutlichen Anstieg der Aufführungszahlen, insbesondere in Deutschland und im Vereinigten Königreich: Im Vereinigten Königreich bedeuten die 84 aufgeführten Aufführungen eine Verfünffachung gegenüber 2023. In Bruckners Heimatland Österreich war nur ein leichter Anstieg zu verzeichnen – 2022 gab es sogar etwas mehr Aufführungen von Bruckner als 2024. Kann es sein, dass der Bruckner-Markt in Österreich angesichts der üblichen Größe und des Umfangs seiner Werke eine Sättigung erreicht hat, während dies in Deutschland nicht der Fall ist?

Der 100. Todestag Puccinis führte ebenfalls zu einem Anstieg der Opernaufführungen und verdrängte Verdi mit über 1204 aufgeführten Vorstellungen von der Spitzenposition. Der proportionale Anstieg von 26% ist jedoch relativ gering. Schönberg, der sein 150-jähriges Jubiläum feierte, verzeichnete eine größere proportionale Zunahme: 252% im Konzertsaal und beachtliche 58 Opernaufführungen.

Lebende Komponist*innen

Wie sieht es mit lebenden Komponist*innen aus? Auch in diesem Jahr sind John Williams und Arvo Pärt die am häufigsten aufgeführten lebenden Komponist*innen. Ein bemerkenswerter Aufstieg im Jahr 2024 ist jedoch Caroline Shaw, die auf Platz 4 der am häufigsten aufgeführten lebenden Komponist*innen liegt. Ihr Werk Entr'acte, das es in Versionen für Streichquartett und Streichorchester gibt, wurde in diesem Jahr 30 Mal aufgeführt und von prominenten Dirigent*innen und Streichquartetten in aller Welt übernommen. Dieses einzelne Werk wurde 2024 häufiger aufgeführt als alle anderen Komponistinnen in der Bachtrack-Liste 2013.

Der Tod von Kaija Saariaho war in diesem Jahr mit 96 aufgeführten Aufführungen ebenfalls stark zu spüren, mehr als in jedem anderen Jahr in unseren Aufzeichnungen. Unter den 20 meistgespielten lebenden Komponist*innen befinden sich 8 Frauen – es ist tragisch, dass Saariaho nicht mehr unter ihnen ist. Während die am häufigsten aufgeführten lebenden Komponist*innen eine größere Gleichheit aufweisen, ist das Alter immer noch hoch: Das Durchschnittsalter der Top 20 liegt bei 65 Jahren. Aber auch mehrere junge Komponist*innen sind in diesem Jahr zum ersten Mal in die Top 100 aufgestiegen. Besonders bemerkenswert sind die 28 Aufführungen der 39-jährigen Lisa Streich, die sich von 9 im Jahr 2023 auf 28 erhöht hat.

Der Anteil der Aufführungen von Musik lebender Komponist*innen nimmt im Allgemeinen langsam zu – eine Feststellung, die wir bereits im letzten Jahr getroffen haben –, aber an einigen Orten war der Anstieg im Jahr 2024 bemerkenswert. 12,3% der Aufführungen konzertanter Werke in Frankreich entfielen auf Werke lebender Komponist*innen, gegenüber 8,7% im Jahr 2022; in Schweden und Australien lag der entsprechende Anteil bei 19%.

Es ist zu betonen, dass diese Auflistungen die Aktivitäten von Orchestern und größeren Veranstaltungsorten erfassen, nicht aber spezialisierte Ensembles oder Festivals für zeitgenössische Musik, die seltener auf Bachtrack verzeichnet sind.

Tanz

Es überrascht nicht, dass Der Nussknacker in der Welt des Tanzes nach wie vor das meistgespielte Ballett der Welt ist, mit rund 400 Aufführungen mehr als das zweitbeliebteste Ballett, Schwanensee. Allerdings beobachten wir einen leichten Rückgang der Häufigkeit des Nussknackers um etwa 11%, da sich die Kompanien für Cinderella, A Christmas Carol oder Die Schneekönigin als alternative saisonale Werke entscheiden.

Christopher Wheeldons Alice's Adventures in Wonderland ist zum ersten Mal in den Top 10 der meistgespielten Ballette. Diese Produktion, die 2011 vom Royal Ballet und später vom National Ballet of Canada uraufgeführt wurde, ist seitdem von sechs weiteren Ballettkompanien auf der ganzen Welt übernommen worden.

Weitere bemerkenswerte Neuzugänge bei den meistgespielten Tanzwerken in diesem Jahr sind mehrere Einakter des neu gegründeten London City Ballet, die in der zweiten Jahreshälfte 2024 jeweils mehr als 40 Mal aufgeführt wurden. Auch Sharon Eyal hatte viele Aufführungen von Einaktern, darunter das zunehmend gefragte Autodance.

Eyal ist zum zweiten Mal in Folge die einzige weibliche Choreographin in den Top 20 der meistaufgeführten Choreograph*innen (13.), während Crystal Pite mit Platz 21 nur knapp dahinter liegt. Wheeldon ist auf Platz 6 aufgestiegen, während die üblichen Verdächtigen weiterhin vorne liegen: Petipa, Ivanov, Balanchine, Bourne und Ailey. Betrachtet man nur die meistaufgeführten lebenden Choreograph*innen, so finden sich 3 Frauen unter den ersten 20 (und 9 unter den ersten 50).

Ein Blick in die Zukunft

Was ist von all dem zu halten? Seit der großen Störung durch die Coronavirus-Pandemie, die die Organisationen der darstellenden Künste hart getroffen hat, haben sich mehrere seit langem zu beobachtende Trends fortgesetzt. Es ist fraglich, ob sich die beobachtete Zunahme der Gleichberechtigung von Interpret*innen und Komponist*innen fortsetzen wird, und während diese Zunahme an einigen Orten bemerkenswert ist, ist sie an anderen nur marginal.

Was unsere Statistiken nicht erfassen, ist die Planung der Spielzeiten – Entscheidungen, die bereits getroffen wurden oder gerade getroffen werden. Halten die Orchester an ihrer Verpflichtung fest, ihr Repertoire zu diversifizieren und mehr Komponistinnen und farbige Komponist*innen aufzuführen? Sind sie nach wie vor bestrebt, Frauen auf Gast- und Assistenzdirigentenstellen zu berufen – ein notwendiger Schritt, wenn Chefdirigenten Geschlechtergleichheit erreichen wollen? Bemühen sich Tanzkompanien um mehr Gleichberechtigung bei der Auswahl von Choreograph*innen?

Bei Bachtrack erkennen wir Talente an, wo immer wir sie sehen. Wir sind aber auch der Meinung, dass die Kunstorganisationen zusammen mit den Regierungen die Pflicht haben, eine aktive Rolle für das Wohlergehen der Künste zu spielen. Was die Zukunft der darstellenden Künste angeht, so ist alles noch eine Frage der Balance.