Chowanschtschina, Mussorgskys politische Oper, die gelegentlich auch als Chowanskerei genannt wird, hört man außerhalb ihres Vaterlandes nur selten und verbietet sich auf den ersten Blick beinahe. Da ist die Länge (viereinhalb Stunden, einschließlich zweiter Pausen), der beinahe unaussprechliche Titel („Ich möchte einen Vokal kaufen...“) und eine Handlung, die so kompliziert ist, dass sogar Literaturliebhaber mit Schrecken an die Momente erinnert werden, in denen sie verzweifelt versucht haben, unzählige Tolstoi-Charaktere in einer Klausur nicht durcheinanderzubringen. Andererseits ist es eine Oper voller mitreißender, wundervoller Melodien und innovativer Instrumentation – in dieser Produktion wurde die Partitur von Schostakowitsch verwendet, denn Mussorgsky hatte lediglich einen unvollständigen Klavierauszug hinterlassen.
Die Handlung bewegt sich in einer Zeit politischer Unruhen in Russland, der des Moskauer Aufstandes, in dem drei Parteien um die Herrschaft des Landes streiten. Jede Führungspersönlichkeit glaubt, er selbst sei der wahre Führer des Landes und Beschützer seiner Seele. Peter der Große fegt mit seinen verwestlichenden Reformen durch das Land, Fürst Iwan Chowanski und seine Bande ausgedienter Soldaten, die Strelitzen und auch Dossifei und seine Altgläubigen (Russisch-Orthodoxe Christen, die den Zaren Peter als ketzerisch betrachten), einschließlich Marfa bilden den Widerstand. Fügt man dann noch einen Vater-Sohn-Konflikt zwischen Chowanski und seinem Sohn Andrei (Christopher Ventris), ein Liebesdreieck zwischen Marfa, Andrei und einer Fremden namens Emma (Caroline Wenborne), eine Horde schimpfender Soldatenfrauen und einen persischen Harem hinzu, so bekommt man einen bunten Eindruck... Die Geschichte geht nicht gut aus. Der intrigierende Schaklowity (Andrzej Dobber) verbündet sich mit dem Zaren und lässt Chowanski ermorden, während Dossifei seine Gefolgsleute gesammelt in den selbstgewählten Feuertod führt.
Musikalisch war das Staatsopernorchester bei Maestro Semyon Bychkov in besten Händen und spielte makellos, sauber und mit einer warmen Fülle, die ein wahrer Genuss war. Auch der riesige, etwa 150 Mann starke Chor verdient viel Lob, ebenso Chorleiter Thomas Lang für eine brillante Vorbereitung und erfolgreiche Ausführung – bei einer solchen Größe nicht immer ein leichtes Unterfangen.
Chowanschtschina bietet auch ausreichend Gelegenheit zu mächtiger, ergreifender und grandioser stimmlichen Entfaltung, hier wundervoll dargeboten von einer bemerkenswerten Besetzung, angeführt von Ain Anger (Dossifei), Elena Maximova (Marfa) und Ferruccio Furlanetto (Iwan Chowanski). Alle drei besitzen eine unglaubliche Musikalität und Stimmen von außergewöhnlicher Stärke, Schönheit im Timbre und Klangfülle, dass es beinahe ungerecht erscheint, einen der anderen Sänger im gleichen Abschnitt mit ihnen zu besprechen. Mit wenigen Ausnahmen gab es jedoch auch in den übrigen Rollen Musikalität und stimmliches Können bis zum Gehtnichtmehr. Selbst, wenn es eine konzertante Produktion gewesen wäre, so wäre es aus musikalischer Sicht ein gut investierter Abend gewesen.