Claus Guths Inszenierung von Debussys Pelléas et Mélisande für die Oper Frankfurt wurde nachvollziehbarerweise ausgezeichnet, als sie 2012 neu vorgestellt wurde. Damals auf Christian Gerhaher und Christiane Karg in den Titelrollen gestützt, tritt sie nun mit neuen Gesichtern in den Hauptrollen und straffer Regie wieder auf und zeigt, warum beim ersten Mal so viel Aufhebens darum gemacht wurde – es ist eine der am schönsten umgesetzten und zufriedenstellendsten Opernproduktionen, die ich je erlebt habe.
Guths scharfsinnige Interpretation spielt auf faszinierende Weise Realismus gegen Mysterium aus. Christian Schmidts einfaches Bühnenbild ist ein zweistöckiger Ausschnitt eines eleganten Heims der Mittelklasse aus Debussys Zeit, wenngleich nordische Familiensaga weiterer visueller Referenzpunkt scheint. Über dem Esstisch hängt drohend ein Portrait von Golauds verstorbener erster Frau und man bekommt das beständige Gefühl, dass es sich um eine Hand voll Familienmitglieder handelt, die in ihrer eigenen Welt gefangen sind, einer Welt, die in der Vergangenheit lebt. „König“ Arkel spaziert herum, ohne wirkliche Autorität zu besitzen und ignoriert sichtlich absichtlich die Gewalt, die Golaud Mélisande im vierten Akt antut. Das Haus ist wie ein Käfig und Enkelsohn Yniold, der niemanden in seinem Alter zum Spielen gefunden hat, ist häufig präsent und Ärgernis für die Älteren. Die Liebe zum Detail in der Regie dieser sonst kleineren Rollen ist faszinierend, und während ich es üblicherweise ermüdend finde, wenn Regisseure ihre Produktionen mit verschiedenen Handlungsebenen zumüllen, ist das hier subtil gemacht und alles ergibt im Kontext des Ganzen Sinn.
Sonnen- und Mondlicht fluten durch die Fenster dieser Szenen im Hausinneren, doch wenn das Bühnenbild zur Seite fährt und wir uns nach draußen bewegen, herrscht dort immerwährende Nacht, in der die Charaktere in einzelnen Strahlen schneeweißen Lichtes stehen und gesichtslose Gestalten im Hintergrund lauern. Hier scheinen wir uns in der wahren emotionalen Welt der Figuren zu befinden: Hier findet Golaud zunächst die verzweifelte Mélisande und stachelt später Yniold dazu an, für ihn zu spionieren; hier gestehen sich Pelléas und Mélisande endlich offen ihre Liebe und beide finden hier ihren Tod, er durch Golauds Hand, sie, indem sie in die Dunkelheit wandert, nicht ohne einen letzten erfolglosen, aber berührenden Versuch, Pelléas mit sich auf ihre Reise zu nehmen – letztlich gibt es vor der Einsamkeit Allemondes kein Entrinnen.