Valentin Schwarz' Bayreuth-Inszenierung von Wagners Ring als epische Tragödie einer Großfamilie ist nach wie vor faszinierend und kann sich in Bezug auf die innere Logik und die einfühlsame Entwicklung der Charaktere bisher gut behaupten. Einer der interessantesten Aspekte ist das Spiel mit unseren Erwartungen und unserem Wissen über die ursprüngliche Handlung, so dass wir uns ständig fragen, wie dieses oder jenes Element des Librettos in diesem Kontext inszeniert werden kann. Obwohl die Website des Festivals hilfreiche Podcasts von Mitgliedern der Besetzung anbietet, die die abgeänderte Handlung erzählen, ergibt sich vieles nur durch aufmerksame Beobachtung der Details – oder so weit man das von 25 Reihen entfernt kann.
Im ersten Akt von Siegfried hat Mime die verlassene „Hütte” von Hunding übernommen und sie wenigstens repariert und die Elektrik in Ordnung gebracht. Er scheint ein ziemlich zwielichtiger Kinderanimateur zu sein und bereitet sich auf Siegfrieds Geburtstagsfeier vor. Unser angehender Held kommt jedoch betrunken nach Hause und zerstört kurzerhand die Spielzeugwaffe, die Mime ihm als Geschenk eingepackt hat. Aber Mime, der mit Krücken und Treppenlift seine Gebrechlichkeit vortäuscht, hat den Jungen gut auf seine alltäglichen Bedürfnisse vorbereitet. Kaum ist Siegfried wieder ausgegangen, taucht Wotan wie ein vernachlässigender Vater auf, um sein eigenes Geburtstagsgeschenk zu überbringen (getragen von seinen beiden Schwergewichten, die vermutlich seine Raben repräsentieren) - Siegfrieds blonde Locken, die mit denen von Wotan übereinstimmen, scheinen die beim letzten Mal aufgeworfene Vaterschaftsfrage zu beantworten (was, so nimmt man an, Brünnhilde nun eher zu seiner Halbschwester als zu seiner Tante macht). Das Geschenkkästchen enthält eine neue Krücke, in der eine Klinge (endlich Nothung) versteckt ist, die Siegfried später zu seiner Zufriedenheit schärft. Sein Schmiedelied begleitet das Zerschmettern seiner Umgebung, die Hammerschläge die Zusammenstöße der Waffe mit allem, was in Reichweite ist.
Fafner scheint der wahre Patriarch der Familie zu sein, der in einem Zimmer des Familiensitzes auf dem Sterbebett liegt und von dem jungen Hagen, niemand Geringerem als dem inzwischen erwachsenen entführten Jungen aus Rheingold, und einer Amme, die sich als Waldvogel entpuppt, gepflegt wird. Eine nicht gezeigte Musikstunde (die Sache mit dem Rohr) begleitet Siegfrieds vergeblichen ersten Versuch, einen Annäherungsversuch zu machen, und sein Hornruf findet eine Parallele in seiner Prahlerei im Schwertkampf. Anstatt seine Waffe absichtlich gegen Fafner einzusetzen, wird er durch sein Eingreifen lediglich so aufgewühlt, dass er ihn zu Boden stößt und der Tod durch einen Herzinfarkt zufällig erscheint. Aber je mehr Alkohol er trinkt, desto besser versteht er sowohl den Waldvogel als auch Mime (was erklärt, warum letzterer sein Gift im ersten Akt nicht zu kochen braucht), und er hat keine Skrupel, seinen Adoptivvater mit seiner Klinge zu töten. Der Waldvogel weiß genau, wo das Familienerbstück zu finden ist, nämlich in Fafners Manteltasche, und endlich haben wir einen Ring oder zumindest einen juwelenbesetzten Schlagring - den Siegfried, der seinen Wert nicht erkennt, prompt an Hagen weitergibt... Die gelbe Baseballmütze des Jungen aus dem Rheingold, die vermutlich den Tarnhelm repräsentiert und sich unterdessen in den Händen von Mime befunden hat, wird verführerisch auf dem Boden liegen gelassen, während uns Schwarz weiterhin neugierig macht.