Freundschaft, Intrige, Rachsucht, Eitelkeit, Stolz, Selbstdarstellung, Macht und Konkurrenz. Stoff dramatischer Barockopern, denen Georg Friedrich Händel zu besonderem Glanz verhalf und der so aktuell wie damals noch in heutiger Zeit im Musikbetrieb die Runde macht. Und welcher bedeutende Künstler möchte sich auch davon frei machen? Händel jedenfalls konnte diese Gemütszustände mit schmissiger Vertonung nicht nur auf den Theaterboden projizieren, sondern die Rivalität seiner Sopranstars Bordoni und Cuzzoni mitansehen. Das scharfe Schwert des Streits zweier gekränkter Seelen erfuhr er aber sogar unmittelbar am eigenen Leib, als er in seiner Hamburger Zeit auf Johann Mattheson traf.
Der jugendliche Händel, der von seinem Jura-Studium in Halle nach Hamburg kam, machte am 9. Juli 1703 die erste Bekanntschaft mit Mattheson, nur dreineinhalb Jahre älter, aber als Hamburger eingesessen und als Komponist, Sänger und Schriftsteller aktiv. Anfangs schien der Erfahrenere an dem Aufbau einer guten Beziehung interessiert, bot Kost und Logis im Hause seines Vaters an, lobte Händels vernommenen Fähigkeiten und fuhr mit ihm zusammen nach Lübeck, um sich – friedlich in Aufgaben getrennt – um die Nachfolge Buxtehudes zu bewerben. Je mehr Mattheson jedoch als überheblicher Lehrer auftrat, der ihm den galanten Stil zu vermitteln hätte, taten sich atmosphärische Spannungen auf, die Händel in Anregungen zu seiner ersten Oper Almira erfahren haben dürfte. Dies muss besonders an der Art und Weise seiner Unterrichtung gelegen haben, die nicht zum musikalischen Gusto passte. Denn statt mit Galanz urteilte Mattheson nicht selten mit bissiger Ironie und einer gewissen Überheblichkeit, die man schon alleine am Titel seines berühmtesten Werks, Der vollkommene Capellmeister, erahnen kann. Mattheson selbst qualifizierte seine Ausdruckskunst als Humor, den Händel, „überhaupt zum dürren Scherze sehr geneigt“, wohl nur nicht richtig verstehen konnte. Charaktere also, die nicht zusammen passten.
Nächster Akt der Zwietracht: Händel hatte sich mit dem Sohn des Königlich Großbritischen Gesandten im niedersächsichen Kreise einen gut bezahlten und angesehenen Posten als Musiklehrer geangelt. Stets auf mehreren Hochzeiten tanzend, überall um größte Anerkennung bemüht und womöglich seine Karriere nach dem Abschied als Komponist planend, verhandelte sich Mattheson am 7. November 1704 bei eben diesem in die Stellung als Hofmeister. In dieser Funktion, später stieg er zu seiner Freude noch als Privatsekretär auf, der sein Glück in der großen Politik als Diplomat fand, ersetzte er Händel sogleich. Natürlich durch sich.
Als wäre eine feindsinnige Gereiztheit nicht nur aus diesen Gründen verständlich, muss Händel seine Rolle im Hamburger Opernhaus als ungeheure Demütigung empfunden haben. Obwohl Komponisten-Intendant Keiser sich stets als Vermittler betätigte, da er beide schätze und natürlich seinen geplanten Spielplan im Auge hatte, musste der Neu-Hanseat mit dem Platz in den zweiten Geigen zufrieden sein, auch wenn Mattheson – wie ja gesagt – viel von Händels Tastenfertigkeiten hielt, mehr aber von seinen eigenen, und wusste, dass sein Kollege darunter litt. Zumindest drückte sich Händels Missbilligung der Situation und Matthesons Kalkül in der Erinnerung aus, dass „er sich hier stellte, als ob er (Händel) nicht bis auf fünf zählen konnte“. War Mattheson nicht am Cembalo, sondern als Tenor verpflichtet oder als Solist seiner eigenen Kreationen auf der Bühne, füllte diese Aufgabe ein hauseigener Assistent aus. Erst als dieser mal nicht zugegen war, bat man Händel das „accompagniren und dirigiren“ an. Dabei kam es zu dem seltsamen Umstand, dass Mattheson in seiner 1704 aufgespielten Oper Die unglückselige Cleopatra natürlich oben den Marcus Antonius gab, der einen hinreißend melodramtischen Tod inszinierte, um danach mit dem Ritual in den Graben zu eilen, Händel vom Cembalo zu drängen, ihn an sein altes Pult zu beordern und den Rest des Stückes zu leiten.